Die Entwicklung der österreichischen Popmusik

Ist der Austropop tot?

Mit dem Begriff Austropop können viele Musiker/innen der jüngeren Generation nicht viel anfangen. Ist der Austropop tot? Wie auch immer man diese Frage beantworten will, die österreichische Musikszene ist jedenfalls sehr lebendig.

Kulturjournal, 16.09.2010

"Weltberühmt in Österreich - 50 Jahre Austropop" - diesen selbstbewussten, um nicht zu sagen unbescheidenen Titel trägt eine Dokumentation, die sich mit Pop aus Österreich beschäftigt. Das Dreigestirn Georg Danzer, Wolfgang Ambros und Reinhardt Fendrich ist in dieser Dokumentation genauso vertreten wie der einzige internationale Popstar, den Österreich bis dato aufweisen kann: Falco.

Aber auch jüngere Vertreter/innen der österreichischen Popmusik kommen zu Wort. Christina Stürmer zum Beispiel, die in den letzten Jahren sicherlich zu den kommerziell erfolgreichsten Interpretinnen aus Österreich gezählt hat. Doch mit dem Begriff "Austropop" können viele Musikerinnen der jüngeren Generation nicht viel anfangen. Ist der Austropop tot? Wie auch immer man diese Frage beantworten will, die österreichische Musikszene ist jedenfalls sehr lebendig.

Österreichische U-Musik in den letzten 20 Jahren

Lokale Bezüge, die Auseinandersetzung mit der sogenannten österreichischen Mentalität und vor allem Songs, die im Wiener Dialekt vorgetragen werden. Anfang der 70er Jahre beginnen junge Musiker aus Österreich in jener Sprache zu singen, in der sie auch in ihrem Alltag sprechen.

Retrospektiv wurde Wolfgang Ambros' "Da Hofa" als Geburtsstunde des Austropop bezeichnet. Zum ersten Mal, so heißt es, wird in Österreich authentische Musik gemacht und nicht versucht, den deutschen Schlager oder angloamerikanische Vorbilder mit weniger Budget nachzuahmen. Nicht zuletzt wegen der Sprache bleibt der Austropop eher ein lokales Phänomen. Die große Ausnahme heißt Falco.

Nummer-Eins-Hit in den USA

"Popmusik funktioniert dann am besten, wenn sie Internationalität inhaliert hat und widerspiegelt", sagt Labelbetreiber Walter Gröbchen. "Das hat Falco wahnsinnig gut geschafft. Die erste Single war 'Ganz Wien'. Das ist noch eine sehr wienerische Nummer. Aber schon mit dem 'Kommissar' gab es englischsprachige Versionen und Coverversionen und so ging das in die Welt hinaus. Und 'Amadeus' war ein sehr clever gewähltes Österreich-Klischee und wurde auch mit einer Nummer Eins in den USA belohnt."

Wie "österreichisch" ist Musik aus Österreich?

Und wie "österreichisch" ist Musik aus Österreich heute? In einem globalisierten Musikbetrieb eigentlich eine müßige Frage. Trotzdem wird sie gestellt. Christina Stürmer zum Beispiel, die heute zu den kommerziell erfolgreichsten Künstlerinnen aus Österreich zählt. 2007 ist Christina Stürmer zu Gast bei "Wetten, dass ...?". Ein folgenschwerer Auftritt.

Für ihren vermeintlich deutschen Akzent erntet Christina Stürmer von selbsternannten Popexperten der Nation herbe Kritik: "Die ist begabt, aber unerträglich ist dieses Herumdeutscheln. Fürchterlich. Der kann man nur den Rat geben: Bleib authentisch!"

Der deutsche Markt

Biedert sich Christina Stürmer wirklich an den ökonomisch wichtigen deutschen Markt an? Die österreichische Electro-Chanteuse Gustav, die wie Stürmer über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt ist, versteht die Aufregung nicht: "Wir sind keine Kinder, die ausschließlich von österreichischer Nahrung geprägt sind, sondern konsumierten auch immer schon deutsche Popmusik mit. Das heißt dieses Deutsch, das wir bedienen, ist ein globales Deutsch. Und auch die Kultur ist nicht so zu trennen voneinander. Mich haben Ton Steine Scherben mindestens genauso geprägt wie Sissy Kraner, Hugo Wiener und der Qualtinger. Die Sensibilität über die Sprache ist einfach stärker da. Man hört genauer hin und ein gewisser provinzieller Geist vermutet dann einen Verrat an der Herkunft, wenn man dann die hochdeutsche Sprache verwendet, obwohl das auch ein ästhetischer Griff ist."

Gustavs ästhetische Entscheidung war es, einen konsequent eigenen Weg zu gehen. 2004 erscheint ihr erstes Album "Rettet die Wale", das auf Anhieb ein großer Erfolg ist und auch in den deutschen Medien besprochen wird. Die Retterin des kritischen Indiepop nennt sie zum Beispiel "Die Zeit". Ihre Sounds, die sie am eigenen Laptop produziert, sind eigenwillig, ihr Gesang, der an eine unaufgeregte Björk erinnert, verzaubert. Und auch wenn sie nicht im Dialekt sing, spielt die Auseinandersetzung mit österreichischen Traditionen in ihrer Musik eine Rolle. Auf ihrem letzten Album sind etwa Klänge einer Trachtenkapelle zu hören.

Große Erfolge mit Wiener Sound

Ihr Debütalbum hat Gustav de facto alleine am eigenen Laptop produziert. Selbst die Gestaltung des Covers hat sie selbst übernommen. Insofern folgt sie der "Do it yourself"-Tradition, die für die elektronische Musikszene der 90er Jahre prägend gewesen ist. Christian Fuchs, Frontman der österreichischen Electropop-Band Bunny Lake erinnert sich: "Die 90er Jahre sind den Österreichern sehr entgegen gekommen, weil es in dem Land keine Rock 'n' Roll-Tradition gibt und auch keine Pop-Tradition. Das ist in der Richtung eine totale Wüste. Zu dieser Wüste gehört auch dazu, dass es nie g'scheite Aufnahmestudios in den 80er und 90er Jahren gab. Das heißt österreichische Bands haben immer schlechter geklungen als andere. In den 90er Jahren kam die Revolution des Homerecording. Computer waren erschwinglich, Programme waren erschwinglich, alles war plötzlich machbar. Das kam den Österreichern massiv entgegen, da konnte jeder an seiner eigenen Ästhetik arbeiten, unabhängig von irgendwelchen Produzenten, die es eh nicht gab."

Das DJ-Duo Kruder und Dorfmeister macht Wien in den 90er Jahre zur Hauptstadt der entspannten elektronischen Loungemusik. Im Windschatten des großen internationalen Erfolgs von Kruder und Dorfmeister wird man international auf die Wiener DJ- und Elektronikszene aufmerksam. DJs wie Pulsinger und Tunakan und Produzenten wie die Sofa Surfers touren durch die Clubs Europas und in den großen angloamerikanischen Lifestylemagazinen wird Wien plötzlich als place to be angepriesen.

Strahlkraft bis nach New York

Walter Gröbchen über das Wiener Elektronikwunder der 90er Jahre: "Die Szene, das waren eine Hand voll Leute. Darunter waren auch wirkliche Genies, also Leute, die es geschafft haben, mit wenigen technischen und finanziellen Mitteln einen Sound zu kreieren. Der war offensichtlich so strahlkräftig, dass das ja keine Marketingerfindung war, dass man das ins Ausland transportiert hat, sondern es wurde in Blitzestempo aufgegriffen. In einer Boutique in New York hört man heute noch Kruder und Dorfmeister laufen. Das ist natürlich ein ökonomischer und vor allem künstlerischer Erfolg von beachtlichem Ausmaß."

Die Zeiten, in denen Wien international mit einer einzigen Musikrichtung identifiziert worden ist, sind lange vorbei. Heute ist die Wiener Musikszene bunt und reicht von einer äußerst lebendigen Singer/Songwriter-Szene bis zur Elektronik. Auch Musik, die an internationale Trends anknüpft, ist in Österreich erfolgreich. Die Band Bunny Lake stürmte in diesem Jahr mit elektronisch verbrämter Discomusik die Charts.

Musiker/innen, die den ganz großen internationalen Durchbruch geschafft haben, gibt es derzeit zwar nicht, aber sehr viel Potential für die Zukunft, sagt Walter Gröbchen vom Label monkey music: "Der Wiener Sound das Jahres 2010 lässt sich nicht mehr so ganz leicht mit einer Marketingklammer darstellen. Tatsächlich ist diese Szene so vielgestaltig und so vielfältig, dass ich's auch nicht könnte. Das ist ein Marketingnachteil, aber auch ein positives Zeichen, dass viel stattfindet und das nicht einem Schema gehorcht."

Textfassung: Rainer Elstner