Eine rote Karte mit Folgen

Island zwei Jahre nach der Krise

Im Herbst 2008 wäre Island beinahe kollabiert, doch jetzt scheinen die wirtschaftlichen Folgen der Krise nicht so schlimm wie befürchtet. In der Politik des Landes hat sich einiges verändert, erstmals ist eine Linksregierung an die Macht gekommen.

"Es ist ein Ruf nach Änderung ertönt."

Einar Örn Benediktsson, früher Musiker der Sugarcubes und jetzt Stadtrat der "Besten Partei" in Reykjavik

Das Ende eines Traums

Vor fast genau zwei Jahren, im Oktober 2008, brachte die Finanzkrise ein ganzes Land an den Rand des Abgrunds: Die isländischen Banken hatten durch Geschäfte im Ausland eine Bilanzsumme erreicht, die zehnmal so groß war wie das Brutto-Inlandsprodukt des gesamten Staates.

Und als dann die Banken wankten, konnte sie der isländische Staat nicht auffangen. Die Insel am Polarkreis, mehr als doppelt so groß wie die Schweiz, aber mit nur halb so viel Einwohnern wie die Stadt Frankfurt am Main, geriet in eine schwere Krise. Die drei größten Banken wurden notverstaatlicht, die Währung abgewertet, die Wirtschaft ist 2009 um mehr als sechs Prozent geschrumpft, so stark wie noch nie zuvor.

Von rechts nach links

Politisch hat die Krise in Island einen ziemlichen Umsturz gebracht: Im April 2009 ist die konservativ-liberale Regierung abgewählt worden und eine rot-grüne Koalition an die Macht gekommen, die erste Linksregierung in Islands Geschichte.

Das war nicht überraschend, schließlich waren ja die Konservativen für die unregulierte und unkontrollierte Privatisierung der Banken verantwortlich gemacht worden, die in die "kreppa", wie die Krise auf Isländisch heißt, geführt hatte. Regierungschefin ist jetzt die Sozialdemokratin Johanna Sigurdardottir, sie hat im Juni ihre Lebensgefährtin, eine Schauspielerin geheiratet - als erstes Paar nach Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Alles bestens?

Eine noch größere Veränderung als auf nationaler Ebene hat sich im Juni dieses Jahres in der Hauptstadt Reykjavik vollzogen: Hier erreichte eine Partei die Mehrheit im Stadtparlament, die von vielen nur als Spaßpartei angesehen wurde. Fast 35 Prozent der Stimmen hat die hauptsächlich aus Musikern und Künstlern bestehende "Beste Partei" erhalten, sie regiert Reykjavik heute gemeinsam mit den Sozialdemokraten.

Die Wahl war ein massiver Protest gegen das politische System in Island, sagt der Politikwissenschaftler Olafur Hardarson von der Universität Reykjavik: "Die Unzufriedenheit mit den alten Parteien war so groß, dass sich die Leute gesagt haben: Schlechter kann es auch nicht mehr werden. Und wenn Sie sich die Leute auf der Liste anschauen, auch wenn diese Komiker, Musiker oder Künstler waren und keine Berufspolitiker - die sind nicht dumm. Die hatten zwar kein politisches Detailwissen, aber es waren vernünftige, gemäßigte Leute mit gesundem Menschenverstand. Ich glaube, das war der Grund, warum man nicht davor zurückgeschreckt hat, sie zu wählen."

Drei Punkte, eine Legislaturperiode

Der neue Bürgermeister Jon Gnarr ist der bekannteste Kabarettist des Landes. In seiner neuen Funktion scheut er nicht davor zurück, bei der Love-Parade mit Frauenperücke und im geblümten Kleid aufzutreten. Sein Wahlprogramm bestand nur aus drei Punkten, einer davon war die Forderung nach einem Eisbären für den Reykjaviker Streichelzoo. Die "Beste Partei" sieht sich als zeitlich befristetes Projekt - für eine Legislaturperiode.

Anders als andere Protestparteien hat sie keine extreme Ideologie, sie ist nicht rassistisch und hat auch nichts gegen Zuwanderer. Schließlich seien ja alle Isländer irgendwann einmal Einwanderer gewesen, sagt Bürgermeister Jon Gnarr zu diesem Thema.

"Wenn Sie bedenken, auf welche Art und Weise sich die Frustration und der Ärger der Bürger in anderen europäischen Ländern ausdrückt, wo das manchmal recht hässliche Formen von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit annimmt, dann muss man sagen, dass das ein nettes Beispiel ist, dem politischen System die rote Karte zu zeigen, auf eine freundliche, harmlose und sogar witzige Art", so der Politikwissenschaftler Hardarson.