"Eingriff in Recht auf Familienleben"
Nowak: Abschiebung verletzt Menschenrecht
Der Menschenrechtsexperte und UNO-Sonderbeauftragte Manfred Nowak übt Kritik an der österreichischen Abschiebepraxis. Er sieht im aktuellen Fall eine Menschenrechtsverletzung. Vor allem kritisiert er den Zeitpunkt, zu dem die Behörden zwei achtjährige Mädchen und ihren Vater in den Kosovo abgeschoben haben.
8. April 2017, 21:58
"Abschiebung hätte verschoben werden müssen"
Menschenrechtsexperte und UNO-Sonderbeauftragter Manfred Nowak im Morgenjournal-Interview am 08.10.2010 mit
Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt
Die Mutter der Kinder befindet sich wegen Selbstmordgefahr in Spitalsbehandlung. Das hätten die Behörden gewusst und sie hätten menschenrechtliche Aspekte mitbedenken müssen, sagt Nowak im Ö1-Interview. "Was bedeutet das für eine Mutter, die ohnedies schon selbstmordgefährdet ist, wenn man ihr die Kinder wegnimmt? Was bedeutet das auch für die Kinder aus der Kinderrecht-Perspektive?" Und Nowak betont: "Das ist ein Eingriff in das Recht auf Familienleben, der nicht mehr gerechtfertigt werden kann." Man hätte diese Abschiebung verschieben müssen, so Nowak. Abschiebung sei nur zulässig, wenn die österreichischen nationalen Interessen stärker sind als die der betroffenen Personen auf Achtung ihres Familienlebens. "Und da ist keine Frage, dass hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt wurde", so Nowak.
Neue Strategie gefordert
Der Menschenrechtexperte regt an zu überprüfen, ob die Asyl- und Migrationspolitik in Österreich und in vielen anderen Ländern Europas noch mit den Grundsätzen der Humanität und der Menschenrechte vereinbart werden kann. Das Ergebnis sollte eine "neue Strategie" sein, "die aber nicht von xenophoben Ängsten und Politik bestimmt ist". In Österreich sei als Reaktion auf eine derartige xenophobe Politik das Asyl- und Fremdenrecht seit den 90er-Jahren ständig verschärft worden. Nowak bedauert, dass in Österreich das humanitäre Bleiberecht so selten angewendet wird.
Morgenjournal, 08.10.2010
Tendenz leicht steigend
Der jüngste Fall, der nun öffentlich diskutiert wird, ist bei Weitem nicht der einzige. 50 Menschen werden jede Woche werden aus Österreich abgeschoben, so die Statistik des Innenministeriums. Heuer gab es bis Ende August 1.670 Abschiebungen, das sind um 70 Fälle mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Wie viele Kinder abgeschoben werden, das ist in der Statistik des Innenministeriums nicht erfasst.
Altverfahren schneller
Es gebe immer ein leichtes Auf und Ab bei den Zahlen, heißt es im Ministerium. Einen Grund für den leichten Anstieg sieht man aber darin, dass der Asylgerichtshof Altverfahren abarbeitet und dass viele Verfahren nun schneller entschieden werden, sagt Christian Schmalzl, Leiter der fremdenpolizeilichen Abteilung im Innenministerium.
Abgelehnte Asylwerber
Die meisten Abschiebungen erfolgen in die Slowakei, nach Rumänien und nach Polen. Abgeschoben werde in erster Linie, weil die Behörden einen Ausweisungsbescheid ausstellen, nachdem Asyl abgelehnt worden ist, so Schmalzl. Ein Teil der Abschiebungen betreffe aber auch Personen, die sich illegal in Österreich aufhalten.
Freiwillige Rückkehr
Deutlich gestiegen ist übrigens auch die Zahl jener, die nach einer sogenannten Rückkehrberatung freiwillig heimkehren. Bis Ende August haben auf diese Weise 2.900 Menschen das Land verlassen, zum Vergleich: im Vorjahr waren es 2.600 Personen.
Drehscheibe Wien
Wien hat sich darüber hinaus zu einer Art Drehscheibe für sogenannte Charterabschiebungen entwickelt. Der Grund: Österreich sei ein Verkehrsknotenpunkt und verfüge über ein gutes Streckennetz in den Osten, heißt es im Innenministerium. Einerseits schieben andere EU-Länder im Jahr einige 100 Personen über Österreich ab - hier seien die österreichischen Behörden jedoch nicht involviert. Andererseits werden in Kooperation mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex eigene Flugzeuge gemietet, in denen mehrere Länder gemeinsam Personen abschieben. Das Innenministerium spricht von bis zu 20 Flügen pro Jahr, betroffen seien einige 100 Personen.