Keine Nachsicht mit dem Moskauer Bürgermeister

Der tiefe Fall des Juri Luschkow

Wladimir Putin hat wohl zu Recht behauptet, dass das moderne Moskau ganz entscheidend von seinem Langzeitbürgermeister Juri Luschkow geprägt wurde. 18 Jahre lang hat Luschkow mehr oder weniger unbeschränkt in der Stadt geschaltet und gewaltet, dann wurde er geschasst.

Durchwachsene Bilanz

Manchmal kann es recht schnell gehen: Ein kritisches Interview, ein öffentlich ausgetragener Streit über den Verlauf einer Autobahntrasse, und schon ist man in Ungnade gefallen. Vor allem, wenn man, wie es dem Moskauer Ex-Bürgermeister Juri Luschkow passierte, schon länger auf der Abschussliste des Kreml steht.

In den 18 Jahren von Luschkows Amtszeit hat sich die russische Metropole zweifelsfrei in eine moderne Weltstadt verwandelt. Doch bleibt die Bilanz seiner Arbeit durchwachsen: Dass Luschkow die Zuschüsse der Stadt für Lehrer, Ärzte und Pensionisten als seine ganz persönliche Gabe verkaufte, mag als lässliche Sünde eines Populisten durchgehen.

Die Tatsache, dass die Firmen seiner Ehefrau Jelena Baturina bei Bauaufträgen regelmäßig zum Zug kamen, erklärten die Eheleute mit der überzeugenden Qualität des Angebotes. Die Optik war trotzdem verheerend.

Rückkehr ausgeschlossen?

Als er am 28. September schließlich geschasst wurde, war Luschkow ein schlechter Verlierer. Am Vorabend seiner Entlassung schrieb er einen bitteren Brief an Präsident Medwedjew und beklagte gar Demokratiedefizite. Seine Umgebung streute, Luschkow werde in Opposition gehen.

Nikolaj Petrow vom Moskauer Carnegie-Zentrum ist einer der besten Kenner der russischen Innenpolitik. Petrow ist überzeugt, dass die Ära Luschkow zu Ende ist: "Die Spekulationen, dass Luschkow jetzt noch eine politische Rolle spielen könnte oder gar bei den Präsidentenwahlen 2012 antritt, sind lächerlich. Er ist 74 Jahre alt. Wenn der Kreml seinen politischen Einsatz nicht mehr wünscht - und es ist offensichtlich, dass der Kreml ihn nicht wünscht - dann ist seine politische Tätigkeit jetzt zu Ende."

Luschkows Sturz führt zurück zu den Anfängen der Ära Putin. Wie Wladimir Putin hatte auch Juri Luschkow gute Chancen auf die Jelzin-Nachfolge. Luschkow gründete seine eigene Partei "Otetschestwo" ("Vaterland") und suchte sich in der Provinz starke Verbündete. Erst als er im Kampf um den Kreml unterlegen war, musste er sich mit Putin arrangieren. Seine Partei ist schließlich in der Kreml-Partei "Geeintes Russland" aufgegangen.

Mit den KGB-Leuten aus Petersburg, die Putin mit nach Moskau und schließlich an die Macht brachte, hatte Luschkow nie etwas zu tun. Dass er mit der Kreml-Partei "Geeintes Russland" unmittelbar nach seinem Sturz auch offiziell gebrochen hat, zeigt, wie fremd das Präsidiumsmitglied bis zuletzt in der eigenen Partei gewesen ist.

Ende einer Generation

Luschkows Partner von einst, die politische Schwergewichte wie der Gouverneur von Swerdlowsk, Eduard Rossel, der Präsident von Tatarstan, Mintimer Schaimijew oder Baschkortostans Präsident Murtusa Rachimow, sie alle wurden im vergangenen Jahr entlassen. Eine Generation musste abtreten.

Das war nicht nur eine Altersfrage, ist Galina Michajlowa von der Oppositionspartei "Jabloko" überzeugt: "Medwedjew und Putin wollten all jene aus den Machtpositionen entfernen, die noch in der Lage waren, eine selbständige Rolle zu spielen. Sie suchen jetzt graue Mäuse, die vom Kreml absolut abhängig sind."

Die Entmachtung der alten Garde muss abgeschlossen sein, bevor die Vorbereitungen auf die Parlaments- und Präsidentenwahlen (2011 und 2012) beginnen können. Das war wohl der entscheidende Faktor bei Luschkows Entmachtung, meint Nikolaj Petrow vom Moskauer Carnegie-Zentrum: "Jetzt beginnen bereits die Vorbereitungen zu den Duma- und die Präsidentenwahlen. Von nun an darf niemand mehr an der erreichten Stabilität rütteln. Schon gar nicht die Gouverneure, die diese politischen Mechanismen kontrollieren sollen."

Sakrosankte Machtvertikale

Luschkow hat wohl gehofft, der Kreml werde nicht den Mut aufbringen, ihn, den verlässlichen Stadtvater, der den Kreml all die Jahre mit einem eindrucksvollen Moskauer Wahlresultat unterstützt hat, vor den Wahlgängen in die Wüste zu schicken. Er sollte sich täuschen.

Denn eines ist noch wichtiger als langjährige Erfahrung: die völlige, uneingeschränkte Loyalität gegenüber Putin und Medwedjew. Ratschläge an die Führungsriege, wie etwa zuletzt Luschkows Interview in einem Regierungsorgan, sind ein Tabubruch, der Folgen geradezu erzwingt. Die Machtvertikale - ein typischer Terminus russischer Polittechnologen - darf nicht in Frage gestellt werden, und nicht einmal ein so mächtiger Mann wie der Moskauer Bürgermeister durfte hier mit Nachsicht rechnen.