57 Kilometer mit der Bahn durch den Berg
Tunnel-Weltrekord: St.-Gotthard-Durchstich
Die Schweiz stellt an diesem Freitag einen Weltrekord auf - und der hat mit Eisenbahn und Tunnels zu tun. Am Nachmittag wird der Gotthard-Basistunnel durchgeschlagen, der mit 57 Kilometern längste Bahntunnel der Welt. Nach seiner Eröffnung in wenigen Jahren soll er mithelfen, den alpenquerenden Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 15.10.2010
Aus der Schweiz
Durchbruch nach 15 Jahren
Um Punkt 14 Uhr ist es soweit: Mehr als 2.000 Meter tief unter der Erdoberfläche wird eine riesige Bohrmaschine die letzten Meter Gestein durchbrechen, die den Süd- und den Nordteil der Tunnelröhre unter dem Gotthard noch trennen. Ein emotionaler Moment für die Ingenieure und Mineure, die seit 15 Jahren Tunnelbohrmaschinen durch das Bergmassiv treiben. Das Mammutprojekt hat den Tunnelbauern bis zuletzt alles abverlangt, sagt Renzo Simoni, Geschäftsleiter der Alptransit AG, der Bauherrin des Tunnels. Neben schwierigen geologischen Bedingungen hab man unter anderem Stauseen unterquert
Mit Tempo 250 durch die Alpen
Der längste Bahntunnel der Welt ist Teil der 15 Milliarden Euro "Neuen Eisenbahn-Alpentransversale" (NEAT), die hauptsächlich durch die sehr hohe Schweizer Lkw-Maut finanziert wird. Wenn der Gotthard-Basistunnel 2017 oder vielleicht schon 2016 in Betrieb genommen wird, können Personenzüge mit 250 km/h und Güterzüge mit 160 km/h durch die Alpen brausen und die oft verstopften Straßen entlasten. Ohne Steigung, mit einer Lok, kann man von Deutschland nach Italien durchfahren, hebt der Sprecher des Bundesamts für Verkehr, Gregor Saladin, hervor.
Noch weniger Lkw-Verkehr
Mit der NEAT will die Schweiz die Warentransporte noch mehr auf die Bahn verlagern. Schon heute werden 60 Prozent der alpenquerenden Güter in der Schweiz auf der Schiene befördert, das ist weit mehr als in anderen europäischen Ländern. Doch das in der eidgenössischen Verfassung verankerte Alpenschutz-Ziel verlangt noch mehr. Künftig soll die Zahl der alpenquerenden Lkws von heute 1,2 Millionen pro Jahr halbiert werden. Dafür reicht die Flachbahn durch die Alpen jedoch nicht aus, es sind weitere Lenkungsmaßnahmen wie die Subventionierung des Güterverkehrs auf der Bahn nötig.
Mehr Güter auf die Schiene
Der Gotthardbasistunnel ist Herzstück der so genannten NEAT, der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen. Dieses 15 Milliarden Euro schwere Mammutprojekt baut die Schweiz, um die Bahnkapazität durch die Alpen zu erhöhen. Schon heute werden in der Schweiz 60 Prozent der alpenquerenden Güter auf der Schiene transportiert, weit mehr als in anderen europäischen Ländern. Doch diesen Anteil wollen die Eidgenossen, die den Alpenschutz sogar in der Verfassung verankert haben, weiter ausbauen. Auch der Personenverkehr wird profitieren. Die Verbindungen zu Italien sollen beschleunigt werden: so etwa wird man von Zürich eine Stunde schneller nach Mailand gelangen, sagt Peter Füglistaler, der Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr.
Mittagsjournal, 15.10.2010
Peter Füglistaler im Gespräch mit Carola Schneider
Von EU allein gelassen
Allein schafft es die Schweiz aber wohl kaum, den Warenverkehr aus Nord- und Südeuropa auf die Bahn zu bringen. Dazu müsste auch die EU den Straßenverkehr verteuern, meint Gregor Saladin vom Bundesamt für Verkehr: "Ideal wäre es, wenn es eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe wie in der Schweiz für ganz Europa gäbe." Die wäre dann etwa vier Mal höher als die gegenwärtige in Deutschland. Eine so hohe Maut wäre in der EU aber kaum durchsetzbar. Auch die von der Schweiz angeregte internationale Börse für alpenquerende Lkw-Fahrten wird in der EU nur zögerlich diskutiert. Die Schweiz wird für ihre Verkehrsverlagerungspolitik zwar bewundert, aber damit auch allein gelassen. Dabei hat sie das Jahrhundertbauwerk Gotthard-Basistunnel auch für Europa gebaut.
Verkehrsminister in Luxemburg
Während in der Schweiz also der historische Durchbruch durch den längsten Tunnel der Welt bevorsteht, verhandeln die EU-Verkehrsminister in Luxemburg immerhin über eine Erhöhung der LKW-Maut durch die Einbeziehung der durch die Umweltverschmutzung, Lärm und Staus verursachten Kosten.
Morgenjournal, 15.10.2010
Aus Luxemburg
Österreich ist anders
Der Kontrast könnte größer nicht sein. Über eine eigene Videoschaltung werden die EU-Verkehrsminister den Durchbruch beim längsten Tunnel der Welt durch den Gotthard in der benachbarten Schweiz verfolgen können. Am österreichischen Brenner, wo es ähnlich dramatische Verkehrsprobleme gibt wie in der Schweiz, ist in den letzten Jahren zwar viel protestiert und manchmal auch blockiert worden. Aber der Brenner Basistunnel ist trotz der finanziellen Angebote der EU noch ferne Zukunft. Das EU-Land Österreich klagt zwar über den Verkehr, konnte sich aber zu einer breitflächigen Lkw-Maut auf den Transitstrecken, wie sie in der Schweiz besteht, nie durchringen.
Gütertransport auf der Straße bald teurer?
Immerhin könnten die EU-Verkehrsminister heute (Freitag) eine Reform der Wegekostenrichtlinie auf den Weg bringen, die auch sogenannte externe Kosten zum Teil der Lkw-Maut machen könnte. Nach einem komplizierten Berechnungsverfahren solle die Möglichkeit geschaffen werden, die Umweltverschmutzung, die Lärmbelastung und die durch den Güterverkehr verursachten Staus in die LKW-Maut einzuberechnen. Der Gütertransport auf der Straße würde dadurch teurer. Vorausgesetzt, die Mitgliedsstaaten greifen auf diese Möglichkeit zurück, denn zur LKW-Maut gezwungen werden kann kein Staat in der Europäischen Union.
Minimale Beträge
Eine Einberechnung der Umweltbelastung in die europäischen Mautvorschriften ist ein seit langem verfolgtes Ziel Österreichs. Bisher waren die Beneluxländer und auch Deutschland. Jetzt aber hat das Vorsitzland Belgien einen Kompromiss ausgearbeitet, auf den sich die Minister heute möglicherweise einigen werden. Allerdings sind Beträge, um die es dabei gehen wird, minimal: zwischen drei und vier Cent pro Kilometer würde sich eine Lkw-Fahrt durch die Einberechnung von Luftverschmutzung, Lärm und Stau verteuern. Auf dem Brenner, wo Österreich jetzt schon einen Alpenzuschlag kassiert, würde das kaum Veränderungen bringen, weil die Mautstrecke mit 35 Kilometern viel kürzer ist als bei der Alpenüberquerung durch die Schweiz.
Erste Weichenstellung
Immerhin: Könnten Luftverschmutzung, Lärm und Staus beim Lkw-Verkehr grundsätzlich einberechnet werden, wäre das eine Weichenstellung für die Zukunft. Das Europaparlament, das ein gewichtiges Wort mitzureden hat, verlangt sowieso strengere Regeln. Für eine echte Verlagerung der europäischen Gütertransporte von der Straße auf die Schiene müssten sich die EU-Staaten, ob groß oder klein, allerdings vom Schweizer Gottharddurchbruch deutlich stärker inspirieren lassen als das bisher der Fall war.