Der Hochstand - Lust, Macht, Kontrolle

Vom Beobachten und Abschießen

Der Hochstand ist vor allem ein Hilfsmittel zur bequemen Jagd. Eine aktuelle Fotoausstellung in der Wiener Galerie Knoll zeigt, dass die Bauwerke auch ganz andere Assoziationen auslösen können: Wachturm, Politikerpult, Pornokanzel.

Architektonischer Wildwuchs

Der Hochstand ist ein Stück "banaler Architektur", wie der Kulturhistoriker Bernhard Kathan schreibt, und doch von schier unendlicher Vielfalt. Es gibt Hochsitze, die sich diskret an den Waldrand schmiegen und kaum mehr sind, als aus ein paar Hölzern notdürftig zusammengehämmerte Verschläge.

Andere ragen freistehend über Ebenen auf, recken sich giraffenartig auf hohen Stelzen und überschatten das Terrain bedrohlich wie die ehemaligen Wachtürme an den Grenzlinien des Eisernen Vorhanges. Bei Modellen jüngeren Datums finden, neben dem traditionellen Holz, auch verleimte Mehrschichtplatten, Dachpappe, Dämmmatten und verschiedene Folien Verwendung.

Diesen architektonischen Wildwuchs kann man in seinen vielfältigen Ausprägungen derzeit in einer Gruppenausstellung der Wiener Galerie Knoll sehen. Unter den Teilnehmern ist Walter Ebenhofer, Österreichs nachhaltigster Dokumentarist von Jagdbauwerken. Seit den 1980er Jahren fotografiert er in seiner Einblick-Ausblick-Serie die Vielfalt der Modelle, von der ausgedienten Gondel bis zum kanzellosen Modell auf waghalsiger Leiter.

Terminatoren des Jagdverhaltens

Der multimedial arbeitende Künstler Paul Horn hat im Eingangsbereich der Galerie eine Mixed-media-Kanzel gebaut, die zum Betreten einlädt und die naheliegende Querverbindung vom Hochsitz zum Politikerpult und zur Kirchenkanzel zieht - es geht um die symbolische Demonstration von Macht und Autorität durch Selbsterhöhung.

Bertram Kober aus Leipzig wiederum fotografiert vorwiegend Hochsitze in Ostdeutschland, die zum Teil noch aus DDR-Zeiten stammen. Häufig furchteinflößende Bauwerke aus Stahlrohren, Blechteilen und ausgedienten Wohnwagen-Kabinen. Terminatoren eines martialischen Jagdverhaltens, die über die Schnittstelle der Schusswaffe die militärische Observation und das Freizeitvergnügen ganz eng zusammenwachsen lassen.

Eine Assoziation, die auch die Künstlerin Sarah Iremonger aus Irland interessiert, einem Land, das weitgehend hochsitzfrei ist: "Ich habe nie welche gesehen. Als ich dann nach Wiepersdorf in der Nähe von Berlin kam und in den Wäldern spazieren ging, sah ich eine Menge von diesen Bauwerken. Sie faszinierten und schockierten mich - vor allem weil sie so militärisch aussahen."

Neben der kleinformatigen, fotografischen Dokumentation dieser objets trouvés entwickelte Sarah Iremonger rund um die Hochsitze ein komplexes, verwinkeltes Projekt: Die so genannte "Hunting box party", eine politische Partei, deren Mitglieder ausschließlich Hochsitze sind. Für die Kandidaten entwarf sie Wahlkampf-Gadgets und Give-aways wie Postkarten und Ansteckbuttons, die aber paradoxerweise in einer Vitrine weggeschlossen sind und nicht benutzt werden können.

Kontrolle über das Territorium

Die vier künstlerischen Positionen, die das Thema Hochsitz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, fügen sich zu einer kritischen Befragung zivilisatorischer Errungenschaften und Mangelerfahrungen zusammen. Das Erlegen von Tieren wird zunehmend zu einer Sache passiver Jäger, die vom komfortablen Hochsitz aus Kontrolle über das Territorium ausüben und die Schönheit ohne Gefahr suchen. Und noch einen Aspekt gibt es, der den Hochstand mit den tiefer liegenden existenziellen Schichten der Gegenwartsgesellschaft verbindet.

"Es gibt eine starke sexuelle Dimension", meint Walter Ebenhofer. "Immer wieder finde ich auf Hochsitzen zurückgelassene pornografische Bilder. Und ich weiß auch von Fotosessions, bei denen auf Hochsitzen Mädchen mit gespreizten Beinen abgelichtet werden."

Eine "Pornokanzel" somit, in der ungestillte Penetrationslust sich mit dem Eros des Tötens von Tieren verknüpft und die Schusswaffe als prothetischer Phallus dient. Doch, glaubt man Walter Ebenhofer, steht vielleicht eine neue Epoche des Jagdverhaltens bevor, die solche Spekulationen überflüssig macht. Denn bei seinen Streifzügen durch Jagdreviere sehe er neuerdings viel mehr "Niedersitze" in Bodennähe. Hochsitz adé - wird die Jagd wieder boden-ständig?