Warum erdulden die Briten das Sparpaket?

Das Schweigen der Gewerkschaften

In Großbritannien hat die Regierung ein beinhartes Sparkpaket beschlossen. Die Einschnitte sind wesentlich tiefer als in Frankreich, wo die Gewerkschaften seit Wochen auf den Straßen protestieren. Trotzdem ist von den britischen Gewerkschaftern wenig zu hören. Warum leiden die Briten still vor sich hin?

Mittagsjournal, 23.10.2010

Der Winter der Unzufriedenen

Im Winter 1978-79 türmte sich der Müll in den Straßen Londons, wochenlang legten sogar die Totengräber die Arbeit nieder. Es waren keine Beerdigungen möglich. Die Gewerkschaften brachten mit ausgedehnten Streiks das Land zum Stillstand. Sie forderten damals die Einführung einer 35-Stunden-Woche und Lohnsteigerungen von mehr als fünf Prozent. Labour Premierminister James Callaghan musste zurücktreten.

Dieser "Winter of Discontent", der Winter der Unzufriedenheit, brachte in der Folge die eiserne Lady Margaret Thatcher an die Macht. Die Gewerkschaften hatten durch ihre Aktionen den Rückhalt der Öffentlichkeit verloren. Selbst heute, 30 Jahre später, gelten sie noch immer als Blockierer.

Streiks als zusätzliches Übel?

Der britische Gewerkschaftsdachverband TUC versucht jetzt Stimmung gegen das Sparpaket der Regierung zu machen. Auf dem Kongress sprechen die Funktionäre vom größten Kampf unseres Lebens, einer zerstörerischen Koalitionsregierung und einer harten Antwort auf ihre Attacken gegen die Arbeiter.

Diese Kampfansagen verhallen in der Öffentlichkeit weitgehend ungehört, Umfragen sagen 60 Prozent der Briten unterstützen den Sparkurs. Streiks und Proteste wie in Frankreich werden nur als zusätzliches Übel in wirtschaftlich ohnehin schon schweren Zeiten gesehen.

Schwach und vernünftig

Bernhard Donoghue, ehemaliger Berater des glücklosen Labour Premierministers James Callaghan, hält es für unwahrscheinlich, dass die Gewerkschaften es schaffen, das Ruder herumzureißen: "Die Gewerkschaften sind heute viel schwächer, ihre Mitgliederzahl hat sich halbiert, sie haben nicht mehr die Ressourcen von damals. Zudem müssen sie sich an strengere Regeln halten, Margaret Thatcher hat mit entsprechenden Gesetzen dafür gesorgt, dass sie nicht mehr so einfach streiken können."

Viele Gewerkschafter hätten begriffen, dass sich die Zeiten geändert haben, sagt David Seymor, Buchautor und ehemaliger Leiter der Politikredaktion der Mirrorgruppe: "Wir haben eine neue Sorte von Gewerkschaftern. Viele sind vernünftiger als damals. Sie wollen keine Negativ-Schlagzeilen und die würden sie mit Sicherheit bekommen, wenn sie jetzt zum Generalstreik aufrufen würden, weil Jobs im öffentlichen Bereich in Gefahr sind."

Schmerzen und Zufriedenheit

Adam Lent, Wirtschaftschef des Gewerkschaftsdachverbands setzt auf behutsame Aufklärungsarbeit. Er sagt, er sei überrascht, dass ein Großteil der Bevölkerung bereit sei, die Einschnitte hinnehmen zu wollen, er warnt vor dramatischen Konsequenzen: "Alle Zeichen weisen darauf hin, dass sich die globale Wirtschaft verlangsamt, dass die britische Wirtschaft schwächer wächst, die Privatwirtschaft kann die Stellenverluste im öffentlichen Bereich nicht so schnell schlucken."

Die Gewerkschaften, ihre Taktik und der gesetzliche Rahmen haben sich in 30 Jahren stark verändert. Die Briten erwarten zwar schmerzvolle Einschnitte, aber keine Neuauflage des "Winter of Discontent".