Was wird gefördert?
Integration und Kultur
Das Thema Integration beschäftigt zahlreiche Kulturschaffende und Projekte in Österreich, die sich mit Migration/Integration auseinandersetzen. Ein Überblick über aktuelle Projekte aus diesem Bereich.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 28.10.2010
Ljubomir Bratic im Gespräch mit
Das Thema Integration hat Hochkonjunktur und dominiert zunehmend die Schlagzeilen und die politischen Diskussionen. Angeheizt werden letztere durch Debatten über gut integrierte und abgeschobene Asylwerber und das umstrittene Buch von Thilo Sarrazin. Auch Bundespräsident Heinz Fischer hat das Thema zum zentralen Punkt seiner Nationalfeiertagsansprache gemacht.
Ein Beitrag zur Integration?
Die Frage wie und auf welche Weise Menschen aus anderen Ländern in die Gesellschaft integriert werden können und sollen, wird wohl auch in Zukunft immer wichtiger werden. Allein in Wien hat ein Drittel der Bevölkerung Migrationshintergrund.
Das Thema beschäftigt auch die Kulturschaffenden und Projekte, die sich mit Migration/Integration auseinandersetzen, zahlreich. Kann Kunst einen Beitrag zur Integration leisten, was wird geboten, um Menschen mit Migrationshintergrund am offiziellen Kunst- und Kulturleben teilhaben zu lassen, was wird gefördert und was wird kulturpolitisch gefordert?
Kulturjournal, 28.10.2010
Die "Brunnenpassage" in Ottakring
Große Bandbreite an Projekten
Sie nennen sich "Tanz Deine Wut", "Fluchtarien", "Blickwechsel", "Auswärtsspiel" oder "Living across": Theater- und Tanzstücke, Ausstellungen und Festivals, die das Thema Migration ins Zentrum stellen und oft sogar die Migranten selbst auf die Bühne holen. Da gibt es Filmprojekte mit kriegstraumatisierten Frauen, Performances von Traiskirchner Flüchtlingen und ambitioniertes Schülertheater zum Thema Fremdsein.
Projekte wie diese haben ihre Berechtigung, weil sie Nachdenkprozesse anregen, meint die Regisseurin Ricky May-Wolsdorff, die mit Jugendlichen aus 15 Nationen das Theaterstück "WUT" einstudiert hat, das seit mehreren Monaten erfolgreich durch Österreich tourt: "Die Kunst zwingt mich, mich mit mir selber auseinanderzusetzen und wenn ich mich als Mensch sehr gut kenne, dann empfinde ich Andersartiges nicht mehr als Bedrohung", so May-Wolsdorff.
Migranten in Kultur unterrepräsentiert
Projekte wie diese vermitteln allerdings auch den Eindruck, als würden Migranten sehr rege am offiziellen Kulturleben teilnehmen, sowohl als Publikum, als auch als Kunstschaffende. Doch dem ist nicht so – denn tatsächlich sind sie, die ein Drittel der Wiener Bevölkerung ausmachen, hier nach wie vor unterrepräsentiert. Das liegt zum einen daran, dass sie oft bildungsfernen und ärmeren Schichten angehören, die generell von der Teilhabe an Kunst und Kultur ausgeschlossen sind, zum anderen daran, dass Kultur – traditionell und oft folkloristisch - in den eigenen Communities gelebt wird; das reicht von der türkischen Volkstanzgruppe, über chinesische Neujahrskonzerte bis hin zur Turbofolkbewegung.
Der Zugang zum heimischen zeitgenössischen Kunstschaffen ist für Menschen aus anderen Herkunftsländern oft durch sprachliche und bürokratische Barrieren erschwert: durch mangelnde Information, fehlende Netzwerke und Zugang zu öffentlichen Ressourcen. In Gremien und Beiräten sitzen kaum Menschen mit Migrationshintergrund, und auch als Lehrende in Ausbildungsinstitutionen sind sie selten.
Mittagsjournal, 28.10.2010
Leben zwischen den Kulturen
"Nur wer eine Stimme hat, kann gehört werden", sagt Ursula Wolschlager, eine der Initiatorinnen des Drehbuchentwicklungsprogrammes "Diverse Geschichten", das Menschen mit Migrationshintergrund das professionelle Schreiben und Einreichen von Drehbüchern erleichtern möchte.
"Uns geht es bei dem Projekt darum, Leute zu unterstützen, einerseits einen anderen Lebensweg zu finden, den sie sich sonst möglicherweise nicht zutrauen würden und sie andererseits als Role-Models und als Repräsentanten ihres Lebens zwischen den Kulturen darzustellen", so Wolschlager.
Gelebte Integration
Die Teilhabe an Kunst und Kultur ist ein wesentlicher Schritt zur gelebten Integration, sagt Anne Wiederhold, die Leiterin der Brunnenpassage in Wien Ottakring: "Es gibt viele Menschen, die hier in Ottakring aufgewachsen sind, in Wien geboren sind und noch nie in ihrem Leben im Burgtheater waren, die gar nicht wissen, dass es ein Museumsquartier gibt, die gar nicht wissen, dass es Gratiseintritt in die Bundesmuseen gibt."
Die Brunnenpassage gilt seit drei Jahren als das Vorzeigeprojekt in Sachen Integration durch Kunst. Von der Caritas Wien ins Leben gerufen, steht diese alte Markhalle am Yppenplatz – einer Gegend, in der Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern leben und arbeiten. Jeden Tag finden hier bei freiem Eintritt Veranstaltungen statt – Tanzworkshops für muslimische und österreichische Frauen, der Brunnenchor mit türkischem Chorleiter, DJane-Programme und Beatboxing-Wettbewerbe.
Studienautoren fordern weitere Zentren
Mehrere Zentren wie diese in der Stadt, das fordern auch einige Kulturschaffende, die im Auftrag von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny an einer Studie zum Thema "Perspektiven der Kunst-und Kulturpolitik mit Fokus auf Migrationsrealität" erstellt haben.
"Kulturzentren, die sich ernsthaft damit beschäftigt, diese Jugendliche zu fördern und ihnen eine Perspektive zu geben", so Ljubomir Bratic, einer der Studienautoren.
Fazit: Je selbstverständlicher Menschen mit Migrationshintergrund am Kulturschaffen teilhaben, ihr Potenzial einbringen, partizipieren – auch an den Ressourcen – desto weniger notwendig werden speziell ausgeschilderte Integrationsprojekte werden.
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IODO - Studie zu Perspektiven der Kunst- und Kulturpolitik
Wien 2010 - 2015 mit besonderem Fokus auf Migrationsrealität