Sorge vor verbaler Radikalisierung
Raue Töne um Berlusconi
Der politische Ton in Italien wird rauer. Und zwar über das Übliche hinaus. Das hat gerade erst die vergangen Woche rund um Silvio Berlusconis diverse Affären und deren öffentliche Bewertung wieder gezeigt. Erst vor kurzem hat Staatspräsident Napolitano vor einer weiteren verbalen Radikalisierung im Land gewarnt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 06.11.2010
Gespaltenes Land
Mit gewohnter Theatralik geht es in den Schlagzeilen der Fernsehnachrichten um Berlusconi und seine Skandale. Und es ist kein Zufall, dass es RAI Tre, das dritte Programm des staatlichen Rundfunks, ist, das die Affären des Ministerpräsidenten genüsslich auswälzt. Denn die RAI ist ein gutes Abbild des Landes, und durch Italien geht ein Riss. Während RAI Uno stramm an der Seite des Ministerpräsidenten steht, ist es bei RAI Tre genau anders herum. Das gleiche bei den Tageszeitungen. Entweder links oder rechts. Beide Seiten kämpfen zunehmend verbittert.
Klare Lagerzugehörigkeit
Der Politologe und ehemalige Chef der Tageszeitung La Stampa, Giulio Anselmi, sagt, das liege unter anderem an der historisch gewachsenen Links-Rechts-Polarisierung des Landes. "In Italien gibt es schon seit der Antike die Tradition, dass sich Intellektuelle einen Padrone suchen. Von dem bekommen sie dann nicht nur Brot zum Überleben, sondern bei Wohlverhalten auch viele Süßigkeiten." Und so gibt es fast niemanden, der sich nicht klar einem Lager zugehörig fühlt.
Vorwürfe und Sprüche
Doch so hart wie jetzt sei noch nie miteinander umgegangen worden – das hört man hier in Italien auch immer wieder. Und da wird auch vor hanebüchenen Aussagen nicht Halt gemacht. Erst vor wenigen Tagen hat Innenminister Maroni behauptet: An der Paketbombe aus Griechenland, die an Berlusconi adressiert war, seien die Linken in Italien schuld, weil sie ständig das politische Klima vergiften würden. Und auf die Aussage von Berlusconi, es sei besser, Frauen nachzusehen als Homosexuell zu sein, antworteten die Linken mit dem, mittlerweile auch auf T-Shirts gedruckten Spruch: "Besser schwul als pädophil."
Mitleidseffekt
Erst mit der politischen Krise von Silvio Berlusconi hätte diese Art der Auseinandersetzung so richtig begonnen, sagt Giulio Anselmi. "In jüngster Zeit hat sich das geändert, mit der Krise des Systems Berlusconi in den vergangenen eineinhalb Jahren. Und da sind dann auch die Medien härter geworden. Seit dem heißt es entweder – diese oder jene Seite einnehmen." Das hat, zumindest was die Medien anbelangt auch wirtschaftliche Gründe. Denn die liberalen Medien – ohne klare Positionierung - sind zwischen den Fronten aufgerieben worden. Es fehlt also die Stimme der Vernunft. Und es seien auch die Gegner von Berlusconi an der Stimmung schuld. Jahrelang habe es oft völlig übertriebene Kritik gegeben – auch unter der Gürtelline. Das hat den gegenteiligen Effekt des Erwünschten produziert. Die Menschen haben Mitleid mit jemandem, der ständig angegriffen wird.
Doch so hart mit dem Gegner umgegangen wird – so schnell gibt es, zumindest in der Politik – in Italien auch wieder Versöhnungen. Ob sich der Riss in der Gesellschaft so einfach wieder kitten lässt, bleibt fraglich.