Deutsche Wirtschaftsweise mahnen

Reformbedarf trotz Aufschwungs

Mit 3,7 Prozent wächst die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr kräftig. Die fünf deutschen "Wirtschaftsweisen" sehen dennoch großen Reformbedarf. Um dauerhaften Aufschwung zu erreichen, fordern sie eine Reform des Bildungswesens. Auch das Gesundheitssystem ist ihrer Ansicht nach reformbedürftig.

Mittagsjournal, 10.11.2010

Mehr Reformtempo

"Die Chancen für einen stabilen Aufschwung stehen nicht schlecht", heißt es in dem heute, Mittwoch, veröffentlichten Herbstgutachten des Sachverständigenrates. "Von einem neuen 'Wirtschaftswunder' kann aber keine Rede sein." Die vom Export getriebene Erholung könne schnell vorbei sein. Sie verlangen deshalb ein höheres Reformtempo. Notwendig sei etwa eine Bildungsoffensive, um ein "Abrutschen der deutschen Volkswirtschaft" zu verhindern. Der Koalition werfen die Experten vor, "jetzt die Früchte der Reformpolitik der vorherigen Regierungen" zu ernten, aber selbst zu wenig zu tun.

Weniger Arbeitslose, mehr Konsum

Die Professoren rechnen für 2010 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 3,7 Prozent und für 2011 von 2,2 Prozent, heißt es in dem mehr als 400 Seiten starken Gutachten mit dem Titel "Chancen für einen stabilen Aufschwung". "Der Aufschwung setzt sich fort, wenn auch mit etwas abnehmender Kraft", heißt es darin. "Die durch die Krise entstandenen Produktionseinbußen werden Ende des Jahres 2011 vollständig ausgeglichen sein". Die Bundesregierung ist einen Tick pessimistischer als ihre Berater. Sie geht lediglich von einem Wachstum von 3,4 und 1,8 Prozent aus. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einer geringeren Dynamik bei Exporten und Investitionen. Dafür dürfte der private Konsum spürbar zulegen - vor allem, weil die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit 1992 unter drei Millionen liegen dürfte.

Mehr Macht für die Kassen

Die Wirtschaftsweisen plädieren auch für eine Reform des Gesundheitssystems. "Vor allem gilt es, die richtigen Weichen rasch zu stellen, da der demografische Wandel unaufhaltsam voranschreitet." Einsparungen und höhere Beitragssätze reichten nicht aus, um die Finanzierung dauerhaft auf sichere Füße zu stellen. Der Sachverständigenrat schlägt stattdessen vor, gesetzliche und private Krankenkassen über eine Bürgerpauschale zusammenzuführen. Die Kassen sollen zugleich mehr Macht bekommen, um mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern besser über Preise, Mengen und Qualität verhandeln zu können.