Deutsche Wirtschaftsweise mahnen
Reformbedarf trotz Aufschwungs
Mit 3,7 Prozent wächst die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr kräftig. Die fünf deutschen "Wirtschaftsweisen" sehen dennoch großen Reformbedarf. Um dauerhaften Aufschwung zu erreichen, fordern sie eine Reform des Bildungswesens. Auch das Gesundheitssystem ist ihrer Ansicht nach reformbedürftig.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 10.11.2010
Mehr Reformtempo
"Die Chancen für einen stabilen Aufschwung stehen nicht schlecht", heißt es in dem heute, Mittwoch, veröffentlichten Herbstgutachten des Sachverständigenrates. "Von einem neuen 'Wirtschaftswunder' kann aber keine Rede sein." Die vom Export getriebene Erholung könne schnell vorbei sein. Sie verlangen deshalb ein höheres Reformtempo. Notwendig sei etwa eine Bildungsoffensive, um ein "Abrutschen der deutschen Volkswirtschaft" zu verhindern. Der Koalition werfen die Experten vor, "jetzt die Früchte der Reformpolitik der vorherigen Regierungen" zu ernten, aber selbst zu wenig zu tun.
Weniger Arbeitslose, mehr Konsum
Die Professoren rechnen für 2010 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 3,7 Prozent und für 2011 von 2,2 Prozent, heißt es in dem mehr als 400 Seiten starken Gutachten mit dem Titel "Chancen für einen stabilen Aufschwung". "Der Aufschwung setzt sich fort, wenn auch mit etwas abnehmender Kraft", heißt es darin. "Die durch die Krise entstandenen Produktionseinbußen werden Ende des Jahres 2011 vollständig ausgeglichen sein". Die Bundesregierung ist einen Tick pessimistischer als ihre Berater. Sie geht lediglich von einem Wachstum von 3,4 und 1,8 Prozent aus. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einer geringeren Dynamik bei Exporten und Investitionen. Dafür dürfte der private Konsum spürbar zulegen - vor allem, weil die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit 1992 unter drei Millionen liegen dürfte.
Vorschuljahr, Ganztagsschule
Um die Basis für einen dauerhaften Aufschwung zu legen, fordern die Weisen eine Bildungsoffensive. Das allgemeine Bildungsniveau in Deutschland, "welches im internationalen Vergleich nur mittelmäßig abschneidet", müsse gehoben werden. Dazu müsse Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten hergestellt werden, die heute bei gleicher Intelligenz viel seltener einen höheren Abschluss erreichen als Söhne und Töchter von Bildungsbürgern. "Bildungsinvestitionen sollten möglichst früh im Bildungszyklus einsetzen, beispielsweise in Form eines verpflichtenden Vorschuljahres, flächendeckender Ganztagsschulen und eines flexibleren Übergangs zwischen einzelnen Bildungsabschnitten", fordern die Experten.
Mehr Macht für die Kassen
Die Wirtschaftsweisen plädieren auch für eine Reform des Gesundheitssystems. "Vor allem gilt es, die richtigen Weichen rasch zu stellen, da der demografische Wandel unaufhaltsam voranschreitet." Einsparungen und höhere Beitragssätze reichten nicht aus, um die Finanzierung dauerhaft auf sichere Füße zu stellen. Der Sachverständigenrat schlägt stattdessen vor, gesetzliche und private Krankenkassen über eine Bürgerpauschale zusammenzuführen. Die Kassen sollen zugleich mehr Macht bekommen, um mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern besser über Preise, Mengen und Qualität verhandeln zu können.