Funde an der Baumgrenze

Johann Feilacher über Bäume

Das Wesen der Dinge erschließt sich nicht immer auf den ersten Blick, oft enthüllt erst die nähere Hinwendung wahre Schätze des Innenlebens. Diese Erkenntnis war für Johann Feilacher, den Psychiater, Bildhauer und Leiter des Gugginger Hauses der Künstler richtungsweisend für seine Laufbahn.

Kunst ist ein Weg, um zu überleben.

"Es war eine sehr wichtige, sehr frühe Begegnung mit einem Objekt, an einem ganz bestimmten Ort, der für mich Bedeutung hat, und zwar bin ich in meiner Jugend immer Bergsteigen gegangen, und am Übergang der Baumregion zur reinen Felsregion gibt es Geröllhalden, dort befanden sich steinähnliche Objekte, die aber nicht aus Stein, sondern aus Holz waren."

In früher Jugend war Feilacher Extrembergsteiger, jede freie Minute verbrachte der gebürtige Villacher in den Dolomiten und Julischen Alpen. Doch mehr noch als die Abenteuer in den steilen Gebirgswänden faszinierten ihn die steinähnlichen Holzstücke, auf die er in besagter Grenzregion stieß. Der Anblick der archaisch anmutenden Gebilde war für Johann Feilacher eine entscheidende Begegnung, die ihn zur Kunst führte.

"Sie waren grau - ganz gleich wie Steine, zum Verwechseln ähnlich, hat man aber die Oberfläche weggenommen, hat man zum Beispiel hinein geschnitzt, dann kam plötzlich knallrot heraus. - Es war ein Lärchenholzstück, das drei-, vierhundert Jahre jeder Witterung getrotzt hat in der obersten Region. Dieses Holzstück sah äußerlich ganz anders aus als das, was innen war", so Feilacher.

Das Rot im Herzen

Es sei dies sein erster Zugang zur dreidimensionalen Kunst gewesen, sagt Feilacher, der die Holzstücke in der Folge einsammelte und von seinen Bergtouren mit heimbrachte, um immer wieder aufs Neue über jenes kräftige Rot im Herzen der abgestorbenen Lärche zu staunen.

"Dieser Moment der Metamorphose war wichtig, der Moment der Veränderung eines äußerlich anscheinend völlig unscheinbaren Objektes in ein feuriges, inhaltsvolles Objekt, das heißt außen schaut's nichts gleich, aber innen ist etwas ganz Besonderes. Etwas, das Jahrhunderte gebraucht hat, um zu wachsen und dann vielleicht noch einmal hundert Jahre, um diese Patina zu kriegen. Das Faszinierende ist, dass das ein Objekt ist, das Jahrhunderte braucht, um zu wachsen, um zu reifen, und das dann abstirbt und dann noch einmal fünfzig, hundert Jahre braucht, bis es diese äußerliche zweite Form annimmt, dieses Grau von der UV-Bestrahlung, dass es einen Reifeprozesse durchmacht, den man nicht beschleunigen kann, der einfach seine Zeit braucht."

Blick unter die Oberfläche

"Alles braucht seine Zeit", diese Einsicht war auch bei der Arbeit mit "seinen" Künstlern in Gugging von essenzieller Bedeutung, erzählt Johann Feilacher. Ein unendlich langsamer Prozess war etwa das gegenseitige Kennenlernen; wesentlich war der Blick unter die Oberflächen der einzelnen Persönlichkeiten; auch die individuelle Entwicklung jedes einzelnen Künstlers brauchte seine Zeit.

Und schließlich brauchte das Projekt "Gugginger Kunst" ebenfalls seine Zeit: jenes Phänomen, das international zunächst nur beschränkte Auswirkungen hatte, mittlerweile indes weltweiten Einfluss in der Kunstszene ausübt. Was sein eigenes kreatives Schaffen angeht, so hatte Johann Feilacher Jahrzehnte später übrigens eine weitere Begegnung, die ihn prägte: Ein Künstler, der ihn, so Feilacher, an seine Objekte erinnerte: Einmal mehr war gleichsam hinter einer grauen Oberfläche Brillanz verborgen.

Ein Faible für Mark di Suvero

"Ähnlich wie diese Stücke aus dem Kahr, aus der Geröllhalde, ist mir Anfang der 1990er Jahre Mark di Suvero begegnet. Mark di Suvero ist der größte amerikanische Stahlbildhauer, und es gibt keinen Skulpturenpark, kein Museum, das nicht Arbeiten von ihm hat. Hier in Europa hat man vor einigen Jahren bei der Biennale in Venedig seine 30 Meter großen Arbeiten gesehen. Mark di Suvero ist so ein Mensch, der immer und überall mit einem grauen alten Pullover herumrennt, er geht sogar zu Festen mit dem Pullover, bei der Verleihung des Life Time Awards haben ihn die Security-Leute wegen dieses Pullis gar nicht zur eigenen Auszeichnung in die Festhalle lassen wollen. Nach außen fällt er überhaupt nicht auf, im Inneren hat er aber ein wirkliches Feuer an skulpturaler Tätigkeit entwickelt."

Nach einer unfallbedingten teilweisen Lähmung arbeitet der mittlerweile hochbetagte Mark di Suvero bis an die Grenze seiner körperlichen Möglichkeiten. Seine Objekte sind riesige Stahlträger; seine Antriebskraft: die Liebe zum Material. "Was ich bei ihm gesehen und gelernt habe, ist, dass er mit einer unglaublichen Ausdauer mit Material gearbeitet hat, er hat sein Eisen geliebt, er hat damit gelebt, auch die Arbeit selbst, die Tätigkeit, der Prozess war ihm wichtig, das auch selbst zu machen, nicht von tausend Assistenten, die er sich damals hätte leisten können, das musste authentisch von ihm stammen."

"Es ist eine duale Beziehung", so Feilacher weiter, "man muss mit dem jeweiligen Material leben, eine lebendige Beziehung muss auf die jeweiligen Verhältnisse eingehen, man muss sich einstimmen, man kann zwar Notizen machen, man kann Pläne im Kopf haben, die lassen sich so aber nicht immer realisieren, sondern immer nur in Zwiegesprächen, besonders wenn man mit Holz arbeitet, weil das Holz ja ein lebendiges Material ist."

Skulpturen aus Holz

In gewisser Weise ähneln die riesigen Stahlträger des Mark di Suvero den abgestorbenen Baumstämmen, die Johann Feilacher mit schweren Fahrzeugen aus den Wäldern abtransportiert, um sie als Kunst wiederaufleben zu lassen. Nur tote oder bereits geschlägerte Stämme verwendet der Bildhauer, bearbeitet sie mit Kettensägen und gestaltet sie zu Skulpturen.

Im Atelier von Johann Feilacher, in Seitzersdorf- Wolfpassing, wird am 13. November 2010 eine Ausstellung mit Werken des Künstlers eröffnet. Gezeigt wird eine Auswahl von Feilachers Skulpturen, dazu stellen die Malerin Sylvia Kummer sowie Hans Staudacher Exponate aus.

Das Mammut-Projekt

Mit Vorliebe verwendet Feilacher Eichen oder Ulmen für seine Objekte, geistig bereitet er sich aber bereits auf Größeres vor: Als nächstes plant er das "Mammutprojekt". Nicht abgestorbenes Material soll dabei die Grundlage bilden, sondern Kunst, die "lebt".

"Was mir immer im Kopf herumgeht ist das, worum man noch kämpft, woran man noch arbeitet, was noch nicht verwirklicht ist, und da hab ich eine Vision von einer lebenden Skulptur, das ist eine Pflanzung von lebenden Mammutbäumen, nicht von drei oder vier, sondern wirklich eine ganze Linie, die 20 oder 30 Meter lang sein kann, ich nenn es 'tausendjährige Skulptur'. Das ist eine Skulptur als Pflanzung, die eine bestimmte Form über eine ganze Landschaft hat, oder über einen riesigen Park, und die wäre erst in tausend Jahren fertig! Das heißt: Jetzt pflanzt man das, der Baum wird in 50 Jahren höher sein als alles, was es hier in Europa gibt, und in 100 Jahren kann man es dann wirklich groß sehen, 60, 70 Meter hoch, man sieht es vom Satelliten. Und Sie sehen ein Projekt, das weiterhin wächst! Mammutbäume werden ja über 1.000 Jahre alt, das heißt, die Fertigstellung der Skulptur wäre frühestens in 1.000 Jahren, und das ist eine faszinierende Sache, auf so etwas hinzuarbeiten."

Kunst sei natürlich ein Weg zu überleben, nach dem körperlichen Tod irgendwie übrig zu bleiben, so Johann Feilacher. "Die Vision ist, dass ein Produkt eines Menschen übrig bleibt oder ein Gedanke, ein Text. Kunst ist sicher ein Mittel, auf einer höheren Ebene die Genetik zu vervollständigen, wo ja nur der Körper in den Kindern wiederholt wird, aber da gibt es etwas, was auf anderer Ebene überlebt."