Ursachen hausgemacht
Italiens Müllkrise läuft aus dem Ruder
Das Müllproblem in Italien und kein Ende. Zugespitzt hat sich das Problem in Neapel, es ist aber dort nur die Spitze des Eisbergs. Das Problem hat viele Ursachen. Eine davon liegt am Verpackungswahn. Ein anderes bei der Mafia.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 13.11.2010
Aus Neapel,
Bestialischer Gestank
1.300 Tonnen Müll türmen sich wieder einmal in Neapel. Ein bestialischer Gestank liegt über der Stadt. Demonstrationen gegen Mülldeponien dazu oft streikende Müllfahrer. Seit Jahrzehnten herrscht beim Müll in manchen Teilen Italiens Ausnahmezustand. Und auch das Versprechen von Silvio Berlusconi das Müllproblem sei in drei Tagen gelöst, ist schon wieder zwei Wochen alt. Doch das Müllproblem hat viele Ursachen – nur eine davon liegt in den fehlenden Mülldeponien.
Es beginnt beim Plastiksackerl
Die Spurensuche beginnt an einem Ort, an den man wohl nicht zuallererst denkt, wenn man die Müllberge in Neapel sieht. Ein Supermarkt – genauer gesagt die Gemüseabteilung. Ohne Unterbrechung wirft die Waage kleine Etiketten aus, die auf die Plastiksackerl geklebt werden müssen. Hier in Italien wird jedes Gemüse abgewogen. Auch Salat oder Paprika. Und alles bekommt natürlich ein eigenes Sackerl. Und auch sonst merkt man hier den Hang zum Einwegartikel. Vor allem Plastikgeschirr in allen Variationen gibt es zu Hauf. In italienischen Haushalten ist es üblich Plastikgeschirr zu verwenden wenn Gäste kommen – auch bei größeren Menüs und festlichen Anlässen. Auch viele Wurstwaren kommen in hoch aufwendigen Verpackungen aus Aluminium und Plastik. Und auch bei der Kasse ist Müllvermeidung kein großes Thema.
Die Frage nach der „busta“, dem Einkaufssackerl, ist allgegenwärtig: Meist sind die Plastiktaschen gratis. Fast niemand verwendet Stofftaschen oder Körbe: So kommt man auf die stolzen 541 Kilo Müll, die ein durchschnittlicher Italiener pro Jahr produziert. Das ist deutlich über dem EU- Durchschnitt. Und damit ist auch schon der erste von drei Schritten ins Müllchaos getan.
Wenig getrennt
Ortswechsel: Rom. Jener Ort in Italien, an dem die Mülltrennung und das Recycling am wenigsten ernst genommen werden. Nur 12,4 Prozent des Mülls der hier anfällt wird recycelt. Spitzenreiter mit mehr als 56 Prozent ist Südtirol. Dabei wären die Vorschriften zur Mülltrennung – theoretisch überall gleich. Ich frage jene Person, die auch sonst alles genau weiß – die Hausmeisterin in meinem Wohnhaus: Es wird getrennt in Papier und biologischen Abfall. Und dann gibt’s auch noch Glascontainer. Und – hinten bei der nächsten Straße, sagt sie, kann man die Plastikflaschen einwerfen. Und dann gibt’s denn Restmüll eh klar. Aber am wichtigsten ist das mit dem Papier – da kommen die Zeitungen rein.
So weit zur Theorie. Und nun ein Blick in die Praxis: Auf zu den Müllcontainern vor der Haustüre: Deckel zu und nix wie weg – mit dieser Mentalität geht man hier den zweiten Schritt zum Müllproblem.
Deponien mit giftigen Dämpfen
Dritter Schritt ins Debakel – die Mülldeponien. Hier demonstrieren – wie so oft die Bewohner jener Orte rund um Neapel, wo die riesigen Mülldeponien stehen. Angeführt von ihren Bürgermeistern: Wir haben Probleme mit den giftigen Dämpfen – und damit im Zusammenhang auch mit der Gesundheit der Bevölkerung. Viele Mütter wollen ihre Kinder gar nicht mehr zum Spielen hinauslassen. Das führt natürlich zu Spannungen in der Bevölkerung."
Tatsächlich sind nach einer neuen Studie vermehrt Krankheiten, vor allem der Atemwege bei Kindern im Großraum Neapel zu bemerken. Kein Wunder. Wird doch Jahr für Jahr fast die Hälfte des Abfalls, das sind 16 Millionen Tonnen, auf Mülldeponien gebracht die dann wie Gebirgsmassive in den Himmel ragen – inklusive Tauben und Rattenplage.
Geschäft in der Hand der Mafia
Aber warum werden nicht mehr Müllverbrennungsanlagen gebaut? Nun ganz einfach: Das Geschäft mit dem Müll gehört neben dem Drogenhandel zu den einträglichsten der Mafia. Sie betreibt illegale Mülldeponien und ist auch im schwunghaften Export von Giftmüll nach Afrika beteiligt. Würde man den Müll, der in den vergangenen 30 Jahren illegal entsorgt wurde, auftürmen, dann käme man auf einen Berg der zwei Mal so hoch ist wie der Mount Everest. Das bringt den Camorra-Clans bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr. Gepaart mit dem mangelndem Umweltbewusstsein und dem fehlenden Recycling ist es also kein Wunder also, dass es faktisch unmöglich ist, das Müllchaos in den Griff zu bekommen.