Ein literarischer Einzelgänger
Staatspreis an Paul Nizon
Der Schweizer Autor Paul Nizon wurde mit dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet. Der 80-jährige gebürtige Berner, der seit langem im Paris lebt, ist ein literarischer Einzelgänger par excellence - von der Kritik und von Autorenkollegen viel gelobt, gilt er allerdings nach wie vor als Geheimtipp.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 15.11.2010
Paul Nizon im Gespräch mit
Europa, "ein rückwärts liegender Traum"
Für ein Werk, das "monolithisch in der deutschsprachigen Literatur der vergangenen 60 Jahre" steht - so die Jury -, wurde Paul Nizon mit dem Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet. Die Frage an ihn: Gibt es das überhaupt, eine europäische Literatur? Nizon verneint. Er hatte schon in den 1960er Jahren "eine tiefe Bedrückung mit dem Gefühl, dass Europa ein rückwärts liegender Traum ist und dass ich im Schatten der Geschichte lebe", so Nizon. "In dieser ganzen verwässerten Welt bin ich nicht unbedingt ein sehr glücklicher Fisch, aber natürlich bin ich eine europäische Existenz."
Ein unbestritten europäischer Autor: 1929 als Sohn eines Russen und einer Schweizerin in Bern geboren, hat Nizon in Barcelona gelebt und in London, in Rom und in Oslo, in Budapest, Wien und Paris. Das Gefühl des Fremdseins - das sei für ihn das Bestimmende, sagt Paul Nizon, das Stimulierende: "Was mir gefällt an der Situation der Gesellschaft ist das Emigrantische. Das ist eine Lebensrolle, die mir zukommt."
Das Leben erschreiben
Paul Nizon bewegt sich abseits der Pfade der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur, in Moden und Trends hat er sich nie eingepasst. Von seinem Romandebüt "Canto", 1963, mit dem ihm der Durchbruch gelungen ist, bis zu den Journalen, in denen er den letzten fünf Jahrzehnten seines Lebens und Schreibens eine literarische Form gegeben hat.
Eine Konstante seiner Arbeit hat Nizon Mitte der 1980er Jahre in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen formuliert. Da heißt es: "Ich erschreibe mir mein Leben - ich erschreibe es mir von Buch zu Buch."
Vom Geschichtenerzählen hält er nichts. "Ich könnte aus meinem Leben kaum Geschichten abzapfen", sagt Nizon. "Ich hab den Widerstand der Plattitüde gegen so etwas." Wie beim Action-Painting der bildenden Kunst werfe er sich sozusagen aufs weiße Blatt und schaue, was rauskommt, "und dann beginne ich zu strukturieren".
Mittagsjournal, 15.11.2010
Kein Freund von Sarkozy
Als unpolitischer Autor wurde Paul Nizon immer wieder tituliert, jenseits der Literatur findet er aber deutliche Worte. Zuletzt zog er im Schweizer "Magazin" gegen Sarkozy vom Leder, den - Zitat - "Hampelmann und seine geistlose Managerregierung".
"Dieses ganze Personalisiseren seiner mehr oder weniger lächerlichen Lebensumstände, und vor allem die zunehmende Machtkumulierung in Verbindung mit diesem oft als Gartenzwerg beschriebenen Staatsoberhaupt", ereifert sich Nizon. Er sei der "Omniprésident", der alle Ministerien praktisch in seiner Hand habe, "er ist ununterbrochen in allen Medien - er ist ununterbrochen in Ihrem Kopf, man kann sich von ihm gar nicht dispensieren".
Textfassung: Ruth Halle