Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert

Museum der vergessenen Geheimnisse

Mit ihrem Debütroman "Feldstudien über ukrainischen Sex" hat Oksana Sabuschko dem Feminismus in der Ukraine der 1990er Jahre eine erste und unüberhörbare Stimme verliehen. Jetzt ist ihr zweiter Roman in deutscher Übersetzung erschienen. Das "Museum der vergessenen Geheimnisse". rollt auf 800 Seiten nicht weniger auf als die Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert.

Kultur aktuell, 16.11.2010

Unterdrückte Erinnerungen

Die Mythen der ukrainischen Geschichte waren während der Sowjetherrschaft verpönt. Sieben Jahrzehnte lang war es verboten, sich abseits der offiziellen Geschichtsschreibung zu erinnern. Einen furiosen Roman darüber, wie ihr Land dadurch zum "Museum der vergessenen Geheimnisse" wurde - und wie es sich darin lebt - hat die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko geschrieben. Eine traumatische Erinnerung, sagt sie, könne man nicht ohne Konsequenzen unterdrücken.

"Ein Buch unter Starkstrom, von einer mitreißenden Kraft, die bis zur letzten Seite nicht nachlässt" nennt die Autorin Ilma Rakusa in der Neuen Zürcher Zeitung das "Museum der vergessenen Geheimnisse".

Traumata der Stalinzeit

Anhand der Lebensgeschichten dreier Frauen zeigt Sabuschko die Widersprüche einer Gesellschaft auf, die durch Lügen geformt wurde. Der Sowjetstaat, sagt sie, sei ein "entsetzliches und aufregendes Experiment mit der menschlichen Natur" vergleichbar mit dem Nationalsozialismus.

Drei Generationen, meint Oksana Sabuschko, lebten in der Ukraine mit einem überängstlichen Verhältnis zur Welt. Gewaltvoll unterdrückt wurde etwa die Erinnerung an vier Millionen Hungertote, die Stalins Kollektivierungspolitik in den 1930er Jahren gefordert hat. Durch den "Holodomor" wurden die ukrainischen Bauern zum Eintritt in die Kolchosen gezwungen. Mit diesem Hungerholocaust - sagt Oksana Sabuschko - legte Stalin den Grundstein für das heutige Problem der Korruption: Wenn du überleben willst, lernten die Bauern, musst du aus der Kolchose stehlen.

Um Phänomene wie Korruption und Konsumgier wirkungsvoll diagnostizieren zu können - und vielleicht eine Wende in der ukrainischen Mentalitätsgeschichte herbeizuführen, müssen die vergessenen Geheimnisse geborgen werden, meint Oksana Sabuschko - ein Roman als Beitrag zu einem neuen ukranischen Geschichtsbewusstsein.

Erschienen ist das "Museum der vergessenen Geheimnisse" im Droschl Verlag, aus dem Ukrainischen übersetzt von Alexander Kratochvil. Heute Abend liest Oksana Sabuschko in Innsbruck und am Freitag bei der Lesefestwoche "Buch Wien".

Service

Droschl Verlag - Museum der vergessenen Geheimnisse