Jeff Wall bei der Vienna Art Week

Kompositionen wie Schnappschüsse

Jeff Wall, der kanadische Fotokünstler ist anlässlich der Vienna Art Week nach Wien gekommen. Der Künstler, der in den 1980er Jahren mit seinen Fotografien in Leuchtkästen berühmt wurde, ist auch mit einer Arbeit in der MUMOK-Ausstellung "Hyper Real" vertreten, die im Oktober eröffnet wurde.

Kulturjournal, 17.11.2010

Es ist das Bild "Man with a rifle", auf dem ein Amokläufer zu sehen ist, der sich hinter parkenden Autos duckt, um aus der Deckung heraus zu schießen. Nur: Er hat kein Gewehr in der Hand. Es ist eine bizarre Rekonstruktion, die das Thema aufgreift ohne allzu explizit zu sein. Bei Jeff Wall ist jedes Bild eine einmalige Komposition, auch wenn es aussieht wie ein Schnappschuss.

Inszenierungen des Alltags

"Ich habe Bilder schon in einer Sekunde gemacht oder in 1,5 Jahren", so Jeff Wall. Und in allen Zeitspannen, die dazwischen liegen, fügt er hinzu. Der 64-jährige kanadische Künstler liebt absichtsvolle Inszenierungen des Alltags, denen man es nicht gleich ansieht. So sieht etwa das Bild "Waiting Man", das man durchaus als Ikone bezeichnen kann, auf den ersten Blick aus wie ein Schnappschuss. Es ist aber keiner. Jeff Wall hat für diese Fotografie in eineinhalb Jahren ein richtiges Bühnenbild aufgebaut, in dem die Akteure stehen. Das Bild ist monumental: fast 4 Meter lang. Man sieht 20 Männer, die auf einen Job warten - an einer Ecke, die man hierzulande "Arbeitsstrich" nennen würde.

Er habe diese Männer schon 30 Jahre lang an der Straßenecke stehen sehen, erzählt Jeff Wall, an einem dieser sogenannten "cash corners", an denen die Männer sich für ein paar Stunden Schufterei anbieten. Manche Männer warten tagelang und frieren vor sich hin. Manchmal wird nur einer von ihnen mitgenommen. Manche habe er schon vor Jahren für andere Bilder engagiert. Und plötzlich hatte er diese Eingebung, sagt Jeff Wall: Das ganze wäre eigentliche ein gutes Bild! Er habe es dann in einem Szenario rekonstruiert, das das gewisse Etwas hatte.

Bilder wie Film-Stills

"Ich bin ein Künstler und liebe das Künstliche" sagt Jeff Wall. Und hat auch sein Bild "Nightclub" in einem Szenario entstehen lassen, das er in jahrelanger Arbeit aufgebaut hat. Sogar die Kaugummis am Boden wurden ganz lebensecht von seinem kleinen Sohn gekaut, um sie dann auf den Bühnenboden zu kleben. Denn Jeff Wall hat sich immer gerne am Film orientiert, damals in den 1970er Jahren, als er anfing. Vom Kino hat er gelernt, dass man alle Probleme lösen kann, sagt Jeff Wall.

Seine Bilder sind für Jeff Wall Stills aus Filmen. Er baut ein Filmszenario auf, um dann dieses eine Foto zu machen. Der zugehörige Film entsteht dann im Kopf des Betrachters. Wenn man sich an einem Bild erfreut, dann hat man eigentlich im Kopf schon eine Kurzgeschichte geschrieben. Und diese Geschichten wecken Bedürfnisse im Betrachter, die schon lange da geschlummert haben. Die Stimulation dieser Bedürfnisse ist für Jeff Wall überhaupt das Wesen der Kunst: dass Empfindungen aus den Menschen zutage gefördert werden, Erinnerungen vielleicht, die den Menschen dann lebendiger sein lassen.

Nahe an der Malerei

Viele Bilder von Jeff Wall sind inspiriert von Romanen, Gemälden oder Skulpturen. Denn Jeff Wall ist studierter Kunsthistoriker, der sich in seinen Anfängen auch manchmal den Vorwurf gefallen lassen musste, Kunsthistoriker-Kunst zu machen. Tatsächlich spielte er beim Komponieren seiner Fotografien mit Gemälden von Delacroix oder Manet herum, und in manchen seiner Aufnahmen entdeckt man Altmeisterliches.

Die bewusste Komposition irritiert die Glaubwürdigkeit des fotografierten Bildes und rückt es näher an die Malerei heran. Denn Jeff Wall glaubt, der große Unterschied zwischen Fotografie und Malerei ist gar nicht so groß, wie sie jahrzehntelang propagiert wurde. Er sah immer eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Rembrandt und dem Fotografen Walker Evans, sie gehören für ihn zur selben Familie. So haben die Fotografien von Jeff Wall eine malerische Präsenz, auch wenn sie dem Betrachter eine dokumentarische Stimmung verleihen. Und das ist es wohl, was ihre geheimnisvolle Faszination ausmacht.

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