Die Erinnerungen des Sari Nusseibeh

Leidgeprüftes Palästina

Man könnte Sari Nusseibeh, den Philosophen und Politiker, mit Wasser vergleichen, das sich von keinem Hindernis aufhalten lässt, um sein Ziel zu erreichen. Er will Frieden und ein Leben in Würde für alle Bewohner Palästinas. Gewaltlos. Und mit Hirn.

Als Arafat gestorben war und Sari Nusseibeh vom Begräbnis nach Boston flog, las er die Autobiografie von Amos Oz, "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis". Mit Oz verband ihn vieles, nicht nur die Sorge um den Frieden in ihrer beider gemeinsamen Heimat – sie hatten sich immer wieder auf Friedenskundgebungen, bei Demonstrationen und bei Diskussionen getroffen. Aber sie hatten noch etwas anderes gemeinsam: Sie waren keine fünfzig Meter voneinander entfernt aufgewachsen, Amos Oz auf der einen Seite des befestigten Niemandslandes, das infolge des ersten Israelisch-Arabischen Kriegs entstanden war, und Sari Nusseibeh auf der anderen.

Die Menschen auf der anderen Seite

Der junge Sari war ein Abenteurer und streifte nach der Schule durch die geheimnisvollen und geschichtsträchtigen Gassen der Altstadt, soweit sie für ihn zugänglich waren. Er ließ seiner Fantasie freien Lauf und überlegte, was denn das für Menschen wären, auf der anderen Seite, die all die "teuflischen Taten" begangen hatten, von denen er immer wieder hörte.

Amos Oz erzählt in seinem Buch, dass er in der kleinen Wohnung seiner Eltern in Kerem Avraham, am Fuß des Mount Scopus, auf dem Boden lag und komplizierte militärische Aktionen erfand, um zum Beispiel das Allenby Camp der Briten zu erobern, und um sein Volk gegen "den Feind" zu verteidigen. Ob "der Feind" in jenen Tagen schon ein menschliches Gesicht erhielt?

Optimistische Lebenshaltung

Sari Nusseibeh erzählt in seinem Buch eher beiläufig davon, dass seine Familie große Ländereien verlor – dort wurde der Flughafen Ben Gurion erbaut. Die Villa seiner Großeltern mütterlicherseits in Wadi Hnein (oder Wadi Hunayn, wie es in der englischen Transkription heißt), die inmitten fruchtbarer Plantagen stand, wurde von den Briten niedergebrannt, der Besitzer auf die Seychellen verbannt. Die Familie konnte fliehen und kam gemeinsam mit unzähligen anderen in Damaskus unter - eine Episode in der großen, tragischen Geschichte Palästinas, die Sari Nusseibeh unermüdlich in friedliche Bahnen lenken will.

Auf andere Weise als sein Vater Anwar, der als Politiker, als Botschafter Jordaniens in Großbritannien und schließlich als Gouverneur von Jerusalem tätig war, setzt Sari Nusseibeh auf Erziehung. Er will, dass sich seine Studenten nicht von blindem Hass leiten lassen, sondern durch das Wissen um Bürgerrechte und um die Auswirkungen von gewaltlosem Handeln. Und auf der Basis der realen, nicht der erträumten Gegebenheiten.

"Die Geschichte kennt viele Beispiele für die Verwirklichung politischer Ziele mit friedlichen Mitteln. Ich sage aber nicht, dass friedliche Mittel immer die einzig sinnvollen sind. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß ist, dass die Anwendung von Gewalt uns in Palästina niemals genützt, sondern - im Gegenteil - immer nur geschadet hat", sagte er in einem Interview für Qantara 2008. In seinem Buch berichtet er von zahllosen Bemühungen, mit Politikern Israels zu einem lebenswerten Konsens für beide Seiten zu kommen, und er berichtet auch, woran die verschiedenen Initiativen gescheitert sind.

Was das Buch so spannend und unverzichtbar macht: Es erklärt vieles, was in der umstrittenen Gegend geschieht, das im alltäglichen Nachrichtenkontext längst schon undurchschaubar geworden ist. Und: Es vermittelt eine positive, optimistische Lebenshaltung, die durchaus Vorbild für das eigene Leben sein könnte: Wenn du bemerkst, dass du auf die eine Weise dein Ziel nicht erreichst, versuch es auf einem anderen Weg!

Service

Sari Nusseibeh (mit Anthony David), "Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina", Suhrkamp

Amoz Oz, "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis", Suhrkamp

Sari Nusseibeh