Wohnungen als Ausstellungsräume
"art.homes" in Istanbul
Kunst im Museum oder Galerien zu zeigen, interessiert Mehmet Dayi nicht. Der Kurator bevorzugt "unmögliche Räume" wie Hotels oder Keller. Bei seinem aktuellen Projekt "art.homes" in Istanbul hat er 20 junge Künstler dazu aufgefordert, gewöhnliche Wohnungen in Kunstlabore zu verwandeln.
8. April 2017, 21:58
Die Bildhauer, Maler und Grafikdesigner stammen zur einen Hälfte aus München, zur anderen aus Istanbul. Sie leben und arbeiten drei Wochen lang in deutsch-türkischen Wohngemeinschaften.
Kulturjournal, 24.11.2010
Fast ein Museum
Langsam und vorsichtig erkunden die Besucher Wohnzimmer und Küche, sprechen mit den Künstlern und werfen sogar einen scheuen Blick ins Schlafzimmer. Wir befinden uns in einer Wohnung des Projekts "art.homes" in Istanbul. Diese und neun andere Wohnungen im Stadtteil Beyoglu wurden dieser Tage zu Kunststätten umfunktioniert: An der Wand im Wohnzimmer ergeben unzählige, aneinandergeklebte Zuckerwürfel Silhouetten von Moscheen und Minaretten.
Patricija Gilyte aus München und Pelin Güre aus Istanbul leben in der Wohnung des bekannten türkischen Drehbuchautors Aydin Yesilyurt. Seine Manuskripte baumeln von der Decke und seine Schallplatten sind zu hören. Die 25-jährige Kunststudentin Pelin erzählt, wie sie sich in der chaotischen Welt des Autors erst einmal zurecht finden musste:
"Dieses Haus war voller Erinnerungen, und es war so staubig, als hätte hier seit zehn Jahren niemand einen Fuß herein gesetzt. Wir durchsuchten all seine Dokumente. Ich fand unglaubliche Dinge, persönliche Briefe von bekannten Schriftstellern und aus dem Gefängnis, und von seiner Deportation aus dem Land."
Mit dem Golem auf zehn Quadratmetern
Auch Orhun Erdenli ist an dem Projekt beteiligt. Am Weg in seine Wohnung berichtet der 35-jährige Bildhauer von den Schwierigkeiten, die das Zusammenleben mit sich bringt: "All diese Barrieren sind künstlich, aber es gibt sie. Ich spreche nicht gut Englisch, und sie auch nicht. Aber man produziert gemeinsam Kunst, und darüber muss man sehr, sehr viel reden. Die Umgebung war auch ein Hindernis. Wir mussten den Menschen, die hier leben, erklären, was wir hier machen, denn Kunst ist für sie sehr seltsam."
Orhun lebt mit Patricia Wich aus München, sie teilen sich eine etwa zehn Quadratmeter große Ein-Zimmer-Wohnung mit dem zwei Meter großen, pechschwarzen Golem. Orhun hat Golem aus schwarzem Schaumstoff geformt, er ist einer Figur der jüdischen Mythologie nachempfunden. Um Golem positiv zu stimmen, hat Patricia für ihn eine Torte gebacken. Diese ist mit weißem Zuckerguss umhüllt und mit dem in Istanbul omnipräsenten "Bösen Auge" verziert, das Golem vor eifersüchtigen Blicken schützen soll.
Vorhang zur Trennung
Nur einige Schritte weiter befindet sich die Wohnung von Ergül Cengiz und Ozan Uysal. Ergül ist Malerin und lebt in München, der Grafikdesigner Ozan ist in Istanbul zu Hause. Sie haben ihre Räumlichkeiten durch filigrane Vorhänge getrennt. Deren Muster erinnern an islamische Ornamente und werfen mystische Schatten. "Wir wollten die Wohnung so teilen wie in alten osmanischen Palästen", erklärt Ozan die Idee dahinter. "Im Harem hielten sich die Damen auf, Selam ist für Männer reserviert. Wir wollten aber, dass die andere Hälfte noch sichtbar ist."
Drei Wochen lang arbeiten zehn deutsch-türkische Künstlerpaare in Wohnungen in Istanbul an ihren raumbezogenen Projekten. Zehn Tage davon öffnen sie die Räume der Öffentlichkeit. Nächstes Jahr bespielen dieselben Künstlerpaare Wohnungen in München. Die Idee zu diesem Projekt stammt von Mehmet Dayi, der in der Türkei geboren und aufgewachsen ist, und seit 20 Jahren im Kulturreferat München als Kurator für Bildende Kunst arbeitet.
Verschiedene Welten
Dayi sitzt in einem Dachterrassen-Kaffee unweit des Galata Turms in Istanbul mit Blick auf den Bosporus. Er erzählt von seinem Projekt, das er privat finanziert hat. Dass er von der Kulturhauptstadt Istanbul keine Unterstützung bekam, wundert ihn nicht: "Dass solche Projekte von der Kulturhauptstadt nicht unterstützt wurden, irritiert mich überhaupt nicht, in Istanbul gibt es keine Tradition, dass man die Künstler fördert. In Istanbul ist der Begriff freie Kunst ganz neu."
Er glaubt, große Unterschiede zwischen den türkischen und den deutschen Künstlern zu erkennen: "Das sind total unterschiedliche Welten. Die Münchner Künstler sind hoch professionell, sehr erfahren, können, was sie machen wollen, schon. Istanbuler Künstler haben diese Erfahrung nicht und die brauchen sehr viel Unterstützung."
Für ihn ist es das Ziel seines Projekts, Vorurteile abzubauen. Aus der Zusammenarbeit sollen Freundschaften und weitere Projekte entstehen: "Die sind ja Gastgeber. Die können Tee kochen, Kuchen backen. So binde ich Künstler mehr zueinander, Einheit, Freundschaft entsteht. Das sind zehn Elektrizitätswerke in Bayolu, die produzieren durchgehend Energie, und das zieht natürlich. Die Presse braucht diese Bewegung."
Durch den außergewöhnlichen Charakter seines Projekts erklärt er sich das rege Interesse der türkischen Medien, denn obwohl Istanbul heuer Kulturhauptstadt ist, wird eher selten von Kunst berichtet.