Wieder Enthüllungen auf Wikileaks
US-Spott über Weltpolitik
Auf der Internetseite Wikileaks enthüllen nun mehr als 250.000 als geheim eingestufte Dokumente, welche Informationen weltweit aus US-Botschaften an Washington übermittelt wurden. Es sind wenig schmeichelhafte Porträts deutscher und französischer Spitzenpolitiker, bis hin zu privaten Details aus dem Leben arabischer Potentaten.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 29.11.2010
Sollte nie veröffentlicht werden
Angesichts der vorliegenden Enthüllungen dürften auch kühle Diplomaten mit der Fassung ringen: Denn niemals war geplant zu veröffentlichen, wie US-Botschafter die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihren Außenminister Guido Westerwelle charakterisieren – oder was über Frankreichs Nicola Sarkozy nach Washington vermeldet wird.
"Teflon" Merkel, "Rätsel" Westerwelle
Insgesamt 1719 Berichte liegen allein aus der Botschaft in Berlin vor. Über Kanzlerin Angela Merkel heißt es darin wörtlich "sie meidet das Risiko und ist selten kreativ". Auch das Attribut Angela "Teflon" Merkel ist zu lesen, da unangenehme Themen an ihr abgleiten würden. Generell wird Frau Merkel in den Berichten der US-Diplomaten aber mehr Erfahrung bescheinigt als ihrem liberalen Außenminister Guido Westerwelle. Der wird von den US-Diplomaten wenig schmeichelhaft als inkompetent, eitel und amerikakritisch charakterisiert. Westerwelle sei "ein Rätsel", heißt es weiter, habe wenig außenpolitische Erfahrung und sei eine "überschäumende Persönlichkeit". In den Berichten wird auch festgehalten, dass deutsche Politiker und Parteimitarbeiter freiwillig die US-Vertretung mit Informationen versorgen – auch von laufenden Regierungsverhandlungen.
"Nackter Kaiser", "Alpha-Rüde"
Im Vertrauen auf die Geheimhaltung der Berichte werden Politiker mit ungewohnt offenen Worten beschrieben: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy als "Kaiser ohne Kleider", Russlands Wladimir Putin als "Alpha-Rüde" – bei dem zu untersuchen sei, inwieweit er mit Italiens Silvio Berlusconi fragwürdigen Privatgeschäften nachgehe.
Unfreundliches über Türkei
Für Verstimmung dürften auch Informationen sorgen, wonach US-Diplomaten ihre Kollegen in den Vereinten Nationen ausspionieren sollen – im Auftrag von Außenministerin Hillary Clinton.
Expertisen über ganze Staaten sind zu lesen: Die Türkei werde von inkompetenten Präsidenten-Beratern regiert und befinde sich auf dem Weg in eine islamistische Zukunft, weg von Europa, heißt es in einem der Dokumente. Der afghanische Präsident Hamid Karzai, dem 2014 nach dem Abzug der westlichen Kampftruppen das Land übergeben werden soll, wird als schwache Persönlichkeit beschrieben, mit offenem Ohr für Verschwörungstheorien aller Art.
Kritik an Militärhilfe
Aber auch von Zweifeln an engen Verbündeten im sogenannten Kampf gegen den Terror ist zu lesen – wenn im Jemen US-Militärhilfe nicht gegen Al Kaida, sondern zur Unterdrückung einheimischer Stämme verwendet wird – oder wenn die Befürchtung geäußert wird, dass das mit Dollar Milliarden ausgestattete Pakistan alles andere als eine verlässliche Basis ist.
Gaddafis Krankenschwester
Auch Klatsch und Tratsch werden via Botschaft nach Washington vermeldet: Die Präsidentengattin in einer ehemaligen Sowjetrepublik sei dermaßen oft geliftet, wird festgehalten, dass sie ihr Gesicht nicht mehr bewegen könne. Ebenso wird reportiert, dass der libysche Diktator Muammar Gaddafi privat wie medizinisch auf eine ukrainische Krankenschwester vertraue.
Vorwürfe gegen Wikileaks
Kein Wunder, dass das offizielle Washington schäumt: Einmal mehr wird Wikileaks vorgeworfen, durch seine Veröffentlichungen Mitarbeiter der US-Regierung zu gefährden. Ähnliches war auch nach zuletzt publizierten Dokumenten über den Afghanistan-Krieg zu hören. Derzeit ist erst ein Teil der Wikileaks vorliegenden Dokumente zugänglich – Berichte über österreichische Politgrößen sind bis dato nicht darunter zu finden.
Reaktionen aus Deutschland
Mittagsjournal, 29.11.2010
Vertrauen erschüttert
Was gesagt wird, ist für viele Politiker und Diplomaten in Deutschland kein Problem, sondern dass es gesagt wird. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, sieht die Arbeit der Diplomatie schwer geschädigt. Das Vertrauen sei nun zerstört und müsse wieder über Jahre hinweg aufgebaut werden. "Jetzt kann fast von null wieder anfangen", so Kornblum.
Empörung in Frankreich
Mittagsjournal, 29.11.2010
Paris: Angriff auf Autorität
Ein Regierungssprecher in Paris nennt die Veröffentlichungen eine klare Bedrohung. Das sei nicht nur ein Angriff auf die Autorität des Staates, sondern gefährde Männer und Frauen, die für ihr Land gearbeitet haben. Der grüne Eruropa-Abgeordnete Daniel Kohn-Bendit sieht das viel gelassener. Er meint, dass es in den Dokumenten nichts gebe, was nicht schon bekannt war. Er verstehe das ganze Theater nicht.
Diplomatische Reaktion Italiens
Mittagsjournal, 29.11.2010
Berlusconi amüsiert
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat sich über die von der Internettplattform Wikileaks enthüllten Berichte von US-Diplomaten, die den italienischen Regierungschef auch wegen seines ausschweifenden Lebensstils kritisieren, offenbar bestens amüsiert. Berlusconi habe "gut gelacht", als er vom Inhalt der Depeschen erfahren habe, berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Sonntag unter Berufung auf Vertraute Berlusconis.
Die offizielle Reaktion Italiens durch Außenminister Frattini: Das sei ein schwerer Schlag gegenm die internationale Zusammenarbeit.
Die oppositionelle Demokratische Partei in Italien kritisierte, die Enthüllungen demonstrierten das Ausmaß, in dem das Bild des Landes in der Welt durch Berlusconi in Misskredit gebracht worden sei.
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