Neue Kräfte treten an
Parlamentswahl im Kosovo
Im Kosovo finden am Sonntag vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die jüngsten Meinungsumfragen deuten auf einen erneuten Wahlsieg der Demokratischen Partei (PDK) des bisherigen Premiers Hashim Thaci hin. Er wird allerdings einen neuen Bündnispartner finden müssen, denn der bisherige Koalitionspartner, die Demokratische Liga (LDK), hatte das Regierungsbündnis gesprengt.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 12.12.2010
Aus Pristina,
Erste Wahl nach Unabhängigkeit
Grund für die vorgezogenen Parlamentswahlen war der Bruch der Regierungskoalition zwischen der PDK und der LDK, den Parteien von Ministerpräsident Hashim Thaci und dem früheren Staatspräsidenten Fatmir Sejdiu. Während Sejdiu mittlerweile auch bereits sein Parteiamt eingebüßt hat und politische keine Rolle mehr spielt, hofft Thaci nach der Wahl im Amt bleiben zu können.
Ob ihm dazu die 1,6 Millionen Stimmberechtigten verhelfen ist durchaus ungewiss. Denn abgesehen von den klassischen albanischen Oppositionsparteien des Kosovo treten dieses Mal zwei neue Bewegungen an, die Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen könnten. Hinzu kommt, dass dies die erste Parlamentswahl nach der Erklärung der Unabhängigkeit im Februar 2008 ist. Im Vordergrund stehen daher die triste soziale und wirtschaftliche Lage.
Neue pro-albanische Parteien
Die Sporthalle von Kosovska Mitrovica ist bis auf den letzen Platz gefüllt. Albanische Fahnen und Sprechchöre prägen die Szene. Der 35-jährige ehemalige Studentenführer Albin Kurti führt nun die Bewegung mit dem Namen „Selbstbestimmung“. Seit Jahren durch spektakuläre Protestaktionen bekannt, tritt sie erstmals zur Wahl an und wird sicher ins Parlament einziehen. Die Bewegung ist nationalistisch, wirtschaftlich sozialistisch geprägt, und großalbanisch. Daher begann die Kundgebung mit der Hymne Albaniens. Statt mit Serbien zu verhandeln, solle im Kosovo ein Referendum über den Anschluss an Albanien stattfinden, fordert Kurti. Seine Bewegung profitiert von der sozialen Krise, von der Unzufriedenheit mit der politischen Elite und der Enttäuschung über die EU.
Mittagsjournal, 11.12.2010
Neue Parteien treten an,
EU-Mission EULEX im Visier
Fünf EU-Mitglieder haben die Unabhängigkeit noch immer nicht anerkannt, die Visa-Liberalisierung liegt in weiter Ferne; und die EU-Mission EULEX nimmt im Kampf gegen die Rechtlosigkeit im serbisch dominierten Norden und gegen die Korruption in der kosovarischen Führung offensichtlich zu viele politische Rücksichten.
EULEX kritisiert Albin Kurti so: „EULEX ist eine undemokratische Mission. So genießen ihre Mitglieder diplomatische Immunität, obwohl EULEX die Unabhängigkeit nicht anerkennt. Die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der EU soll neu definiert werden. Wir brauchen nicht mehr Richter, Ankläger und Polizisten, sondern Experten für Landwirtschaft, Bildung, Gesundheit und Wirtschaft aus Europa, die uns bei der Entwicklung helfen.“
Kampf gegen soziale Misere
Diese Einschätzung teilt auch die zweite neue Kraft des Kosovo, die Partei „Neuer Geist“, abgekürzt FER. Geführt wird FER vom 32-jährigen Shpend Ahmeti: Er hat an in Havrad studiert und lehrt nun an der Amerikanischen Universität in Pristina. Zu seinem Einstieg in die Politik sagt Spend Ahmeti: “Wir sind das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit und mit der höchsten Armutsrate in Europa und auch mit ausgeprägter Korruption. All das hat eine Gruppe junger Experten veranlasst, eine liberaldemokratische Partei zu gründen. Diese Personen haben alle für angesehene Organisationen gearbeitet und sind unbelastet von der Vergangenheit. Unser Hauptziel ist eine neue politische Elite hervorzubringen.“
Marktwirtschaftlich orientiert will FER neben dem Kampf gegen die Korruption vor allem die Eigenproduktion im Kosovo stärken. Der Wahltag wird zeigen, in wie weit die Kosovaren bereit sind, neuen Kräften eine Chance zu geben. Wahrscheinlich ist, dass die Zeit der Veteranen des Unabhängigkeitskampfes langsam zu Ende geht.