Präsident sieht "Gefahr in Verzug"

Rechtsanwälte prangern Justizpannen an

Alljährlich im Dezember legen die Rechtsanwälte Bericht über den Zustand der Justiz. Heuer fällt er ziemlich dramatisch aus: "Es ist Gefahr im Verzug", formuliert Rechtsanwälte-Präsident Gerhard Benn-Ibler als Schlusssatz. Die Liste an Pannen und Justizgrotesken ist lang.

Mittagsjournal, 14.12.2010

Alarmierender Europavergleich

Die Rechtsanwälte prangern einerseits noch einmal an, was in den letzten Wochen ohnehin schon öffentlich kritisiert wurde: Im Europavergleich sehr hohe Gerichtsgebühren, Gesetze ohne ausreichende vorherige Diskussion, fragwürdige sogenannte Terrorprävention. Andererseits bietet der neueste Wahrnehmungsbericht auch viele Einzelfälle, die beschreiben, was sich die Recht-Suchenden bei Gericht und anderen Behörden manchmal so alles gefallen lassen müssen.

"Unerträglich, zumindest aber bedenklich"

Knapp 24.000 Euro musste ein Staatsbürger dem Landesgericht Klagenfurt an Kopierkosten zahlen. - Vom Verwaltungsgerichtshof wurde ein Anwalt aufgefordert, die Überweisung einer Gebühr schriftlich ausdrücklich als "unwiderruflich" zu qualifizieren, obwohl das Geld längst auf dem staatlichen Konto eingelangt war. - Erst vier Jahre nach Einlangen einer Beschwerde gegen die Heeres-Disziplinarkommission wurde das Ministerium vom Verwaltungsgerichtshof aufgefordert, die Akten vorzulegen. Von einer Entscheidung ist da noch gar keine Rede. - Anwaltskammertags-Vizepräsident Josef Weixelbaum: "Die Auskunft des Gerichtes war, es liege im Ermessen des zuständigen Richters, wann eine Sache einer Erledigung zugeführt wird. Das ist für einen funktionierenden Rechtsstaat unerträglich, zumindest aber bedenklich."

Weitere Grotesken

In einem Asylverfahren hat ein Anwalt Erstaufannahmestelle Traiskirchen angerufen, um einen Vorsprachetermin zu vereinbaren. Terminvereinbarungen telefonisch gebe es nicht, wurde ihm beschieden. Da müsse er schon hin kommen. - Die Stadtpolizei Villach arbeitet offenbar so geheim, dass sie Fotos von Verkehrsunfällen erst herausrückt, wenn der Prozess eröffnet worden ist. - Am Landesgericht für Strafsachen Wien sagte eine Richterin, sie sei angewiesen, den Termin für eine Hauptverhandlung auszuschreiben, obwohl sie die gar nicht leiten können wird - Mutterschutz. Ob ihr Nachfolger zu diesem Zeitpunkt Zeit haben wird, stand da völlig in den Sternen. - Nach wie vor zahlreich sind die Fälle, in denen ein Strafverteidiger seinen Mandanten in der Justizanstalt Wien-Josefstadt aufsuchen will und ihm nicht mitgeteilt wird, dass er nach Wien-Simmering verlegt worden ist.

Zu wenig personelle Ressourcen

Eher schlechte Karten hat man, wenn man Geld bei einem Schuldner eintreiben will, der im Bezirk Urfahr-Umgebung bei Linz
wohnt. Dort gebe es seit längerer Zeit keinen Vollzug bewilligter Exekutionen mehr, weiß Anwälte-Vizepräsident Weixelbaum. Die Begründung: Der Rechtspfleger sei erkrankt. Diese Situation sei "höchst fragwürdig und bedenklich", so Weixelbaum. "Recherchen enden immer mit dem Schulterzucken, dass eben zu wenig personelle Ressourcen vorhanden wären."

Vorurteile in Obsorgeverfahren

In Linz verlangte eine Rechtsanwältin eines Samstags bei der Kriminalpolizei, bei der Ersteinvernahme ihres Mandanten dabei zu sein, wie das Gesetz es vorzieht. Doch das beeindruckte weder den Polizisten noch den Journalstaatsanwalt. Sie möge sich am Montag wieder bei der Anklagebehörde melden, wurde ihr ausgerichtet. - Auch im Zivilverfahren orten die Anwälte Mängel: Es gebe, nicht nur vereinzelt, präjudizielle, also vor-urteilende Äußerungen in Obsorgeverfahren, wie zum Beispiel. "Das Kind kommt immer zur Mutter". Dies, so heißt es im Anwaltsbericht, sei in der Regel kaum nachvollziehbar und könne schon deshalb eine Ablehnung wegen Befangenheit rechtfertigen.

"Qualität kostet Geld"

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im Ö1-Mittagsjournal-Interview mit

Bandion-Ortner reagiert

Angesprochen auf die hohen Kopierkosten verweist Justizministerin Claudia Bandion-Ortner auf den "Elektronischen Akt". Bald werde man dann gar keine Aktenabschriften mehr brauchen, so Bandion-Ortner. Und wer sich die Kopien jetzt nicht leisten könne, habe Anspruch auf Verfahrenshilfe und müsse gar nichts zahlen. Aber grundsätzlich koste die Qualität der Justiz eben Geld. Zu Klagen über Personalmangel meint die Ministerin, man habe da ein flexibles System, wenn es konkrete Beschwerden gebe, werde sie sich dessen annehmen.