Kosovos Ministerpräsident unter Druck

Wirbel um Organhandel-Vorwürfe

Der Vorwurf des Organhandels, erhoben vom Europarat, bringt den kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci unter Druck - drei Tage nach seinem von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahlsieg. Serbien reagiert mit Genugtuung. Die EU ruft nach Beweisen. Das EU-Parlament fordert Untersuchungen durch das Kriegsverbrechertribunal.

Abendjournal, 15.12.2010

Nach Organentnahme getötet

Der Europarats-Sonderermittler Dick Marty stützt sich in seinem Bericht auf Informationen "aus erster Hand" und Erkenntnisse der US-Ermittlungsbehörde FBI. Den Anstoß gab ein Buch der früheren Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Carla del Ponte, in der von der Verschleppung von 300 Serben durch Mitglieder der früheren Rebellenorganisation UCK ("Befreiungsarmee des Kosovo") nach Albanien die Rede war. Sie sollen getötet worden sein, nachdem man ihnen Organe entnommen habe.

Serbien erfreut

Während Thacis Kabinett die "Verleumdungen" des Schweizer Parlamentariers entrüstet zurückwies und Vizepremier Hajredin Kuci diesen als "kleinen Milosevic" bezeichnete, zeigte man sich in Serbien erfreut. Die serbische Justiz hatte Thaci wegen Beteiligung an mehreren Morden bereits im Jahr 1998 zu zehn Jahren Haft in Abwesenheit verurteilt. Der serbische Außenminister Vuk Jeremic sagte, er sehe angesichts der Vorwürfe "keine politische Zukunft" mehr für Thaci.

Kühle EU-Reaktion

Europarats-Generalsekretär Thorbjorn Jagland sprach von einer "Reihe ernsthafter Anschuldigungen" und forderte strafrechtliche Ermittlungen in der Frage. Dagegen reagierte die Europäische Union eher kühl. "Wir rufen Herrn Marty auf, Beweise vorzulegen. Wir können nur auf Grundlage von Beweisen handeln", sagte eine Sprecherin von EU-Außenbeauftragter Catherine Ashton auf APA-Anfrage.

EP fordert Ermittlungen

Die Kosovo-Berichterstatterin des Europaparlaments und außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Ulrike Lunacek, rief die EU-Rechtsstaatsmission EULEX und das UNO-Kriegsverbrechertribunal ICTY dazu auf, Ermittlungen auf Grundlage des Berichts des Europarates-Sonderberichterstatters Dick Marty einzuleiten.

Aktivitäten dauern an

Laut Marty soll der Organhandel gleich nach dem Ende des Kosovo-Kriegs im Juni 1999 begonnen haben, bevor internationale Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Provinz übernommen hätten. Man habe das "Chaos" nach dem Kosovo-Krieg ausgenützt. Die Aktivitäten setzten sich bis heute fort. Marty verwies auf Ermittlungen der EULEX-Mission über den von einer Privatklinik in Pristina im Jahr 2008 betriebenen Organhandel. Sieben ehemalige Mitarbeiter der Klinik, darunter ein Funktionär des kosovarischen Gesundheitsministeriums, wurden inzwischen angeklagt.

Kritik an Staatengemeinschaft

Marty zitiert auch vertrauliche Berichte von Drogenbekämpfungsbehörden in mindestens fünf Staaten, wonach Thacis Gruppe seit zehn Jahren den Drogenhandel mit Gewalt kontrolliere. Der Schweizer Parlamentarier übte diesbezüglich auch scharfe Kritik am Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft. Sie habe die serbischen Verbrechen im Kosovo verurteilt und deswegen die UCK-Verbrechen ignoriert, "um kurzfristige Stabilität zu erreichen".