Filmdoku über israelische Stalags-Hefte

Pornografie und NS-Terror

In den Kinos in Berlin beschäftigt sich derzeit ein Film des israelischen Journalisten und Filmkünstlers Ari Libsker mit einem außergewöhnlichen Thema: "Pornografie und Holocaust" heißt die Dokumentation, in der sich Libsker mit den sogenannten Stalags-Heften beschäftigt.

Diese waren in den 1960er Jahren sehr verbreitet und zeigten sadomasochistische Szenen. Wobei mit den Groschenromanen nicht das unfassbare Grauen wiedergegeben werden sollte, das den Juden während des Zweiten Weltkriegs in Lagern passiert ist, sondern sie stellten eine Art Aufarbeitung der Ereignisse dar.

Mittagsjournal, 03.01.2011

Vor allem in Israel verbreitet

Es sind Frauen, als KZ-Aufseher dargestellt, die Männer auf die Knie zwingen - meist alliierte Soldaten. Sie werden gefoltert und sexuell missbraucht. 15 Jahre nach dem unfassbaren Massenmord am jüdischen Volk waren diese Hefte in Israel weit verbreitet. Sie wurden auch Stalags genannt - angelehnt an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch, in dem Stammlager als Stalags bezeichnet wurden.

80.000 derartige Hefte waren in Israel im Umlauf - ausgerechnet in dem Land, das damals von einer eher prüden, sehr konservativen Gesellschaft geprägt war - und die diese grausame Geschichte erst durchgemacht hat.

Wichtiger Zeitpunkt

Warum sind diese Hefte mit diesem Inhalt gerade in diesem Land erschienen und warum waren sie so erfolgreich? Der 1972 geborene Ari Libsker versucht diese Fragen zu beantworten - mit Lesern, Wissenschaftlern und Heftautoren. Eine zentrale Rolle spielt dabei für den Regisseur der Zeitpunkt, zu dem die Hefte erschienen sind, nämlich zur Zeit des Prozesses gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Jerusalem im Jahr 1961 - ein Prozess der den Nährboden für diese Literatur schuf, ein Prozess mit Hebelwirkung, wie ein Wissenschaftler im Film erklärt.

Ein Prozess, der auch für das israelische Volk von großer Bedeutung war. Erstmals wurde der Bevölkerung das Ausmaß des Nazi-Terrors vor Augen geführt. "Es gab Gerüchte, es gab Nachrichten, wird im Film bestätigt, aber während des Zweiten Weltkrieges haben wir alle ignoriert, was den Juden passiert ist."

Erstmals Informationen

Durch die landesweiten Rundfunk-Übertragungen von Zeugenaussagen wurde die israelische Öffentlichkeit auch erstmals ausführlich über die Nazi-Maschinerie informiert - von jenen die diese überlebt hatten. Zuvor wurde das Geschehene ignoriert oder es war wenig bekannt,

In dieser Stimmung erotisierten die Stalags-Hefte mit ihren zum Teil bizarren Inhalten das öffentliche historische Trauma, um es überhaupt erst einmal betrachten zu können, so zumindest die These der Dokumentation von Ari Libsker. "Die Autoren der Stalags identifizierten sich auf perverse, sehr eigenartige Weise mit demjenigen, der die Gewalttagen begangen hat", erklärt ein Wissenschaftler.

Gelungene Dokumentation

Die Autoren veröffentlichten die Hefte zunächst unter amerikanischen Pseudonymen. Tatsächlich waren fast alle der Autoren Kinder von Holocaust-Überlebenden, die die ständige Todesangst ihrer Eltern gespürt hatten. Ari Libsker versucht zu zeigen, dass die Sexualisierung einer grauenvollen Erfahrung in der Fantasie helfen kann, erlebtes Grauen zu fassen und dadurch damit leben zu können. Libsker hat sich dafür ein schwieriges Thema ausgesucht und eine gelungene Dokumentation mit unspektakulärem Ton geschaffen.

Service

IMDb - Stalags