Wiederaufbau lässt auf sich warten

Haiti ein Jahr nach dem Beben

Vor einem Jahr ist Haiti, das ärmste Land der Karibik, von einem verheerenden Erdbeben erschüttert worden. Der Wiederaufbau des Landes steckt heute noch am Anfang.

Hunderttausende Menschen sind bei dem Erdbeben ums Leben gekommen, mehr als eine Million Menschen sind obdachlos geworden. Die internationale Staatengemeinschaft hat zwar großzügige Hilfszusagen gemacht, doch das Land hat bisher nur einen Bruchteil des versprochenen Geldes erhalten. Nach dem Erdbeben hatte Haiti im vergangenen Jahr noch mit Wirbelstürmen, der Cholera und einer politischen Krise zu kämpfen.

Mittagsjournal, 10.01.2011

Aus Haiti eine Reportage von

Keine Bautätigkeit

Die Fahrt vom Flughafen ins Hotel führt uns über riesige Trümmerhaufen, vorbei an Gebäudeskeletten und nicht enden wollenden Zeltlagern. Bauarbeiten sind keine zu erkennen, wir sehen kein einzig neu erbautes Gebäude, ja nicht einmal Bagger. Haitis Wiederaufbau steht still, er hat wohl nie wirklich begonnen.

„Besonders schlimm ist die Situation der Menschen in den Zeltlagern, ihnen wird nicht gesagt, wie lange sie noch so leben müssen,“ beschwert sich unser Fahrer Richard Miguel über den Stillstand, „die meisten dort drin haben längst resigniert.“

Hausen in Baracken, bedroht von Cholera

Mehr als eine Million Menschen leben nach wie vor in Zeltlagern, unter unvorstellbaren hygienischen Bedingungen. Das größte Lager liegt direkt neben dem Präsidentenpalast – der so wie alles hier nach wie vor in Trümmern liegt. Wir treffen dort Carlos Jean Charles – der 29-jährige ist Vater dreier Kinder, seit dem Beben hausen sie in einer der Tausend Baracken: „Die Situation im Lager ist schrecklich. Banden haben sich gebildet. Außerdem nimmt die Prostitution überhand. Du hast Mädchen, die sind gerade mal 10 Jahre alt, die ihren Körper verkaufen müssen, nur um überleben zu können.“

Dutzende Menschen seien bereits an der Cholera gestorben, wie viele genau wisse niemand, so Carlos. Die Cholera ist hochansteckend und kann innerhalb von nur 4 Stunden zum Tod führen – tagtäglich sterben in Port-au-Prince Menschen im Verkehrschaos der Stadt, nur, weil sie nicht rechtzeitig ins Spital gebracht werden konnten. Insgesamt sind Schätzungen zufolge seit dem Ausbruch der Seuche im Oktober des vergangenen Jahres mehr als 3.300 Menschen gestorben, 150.000 daran erkrankt. Und da es einen weltweiten Impfstoffmangel gibt, wird die Cholera in Haiti noch Monate wüten.

Korrupte Führung

Die im November vergangenen Jahres abgehaltenen Wahlen hätten eigentlich einen Neuanfang für Haiti markieren sollen. So die Hoffnung der Haitianer und die Hoffnung der internationalen Staatengemeinschaft. Denn der amtierende Präsident Rene Preval gilt als korrupt, unfähig die Hilfsgelder zu verwalten und den Wiederaufbau seines Landes zu koordinieren. So wie Carlos Jean Charles denken in Haiti viele: Preval ist der Teufel, sollte ich ihm mal begegnen, werde ich ihn töten, tobt Carlos: Prevals korrupte Regierung ist der Grund, warum das bei einer Geberkonferenz vor knapp einem Jahr zugesagte Geld weitgehend eingefroren worden ist.

10 Milliarden Dollar wurden von mehreren Staaten und Organisationen versprochen, gerade mal 1 Milliarde ist davon bisher ins Land geflossen. Die Geberländer warten ab, bis eine neue stabile Regierung im Amt ist. Doch die für diese Woche angesetzte Stichwahl musste verschoben werden. Die erste Wahlrunde war von massiven Irregularitäten, Einschüchterungen und Gewalt überschattet. Haitis Weg aus den Trümmern – er wird ein langer sein.