Bewusste Entscheidung für oder gegen Kirche

87.400 Katholiken haben die Kirche verlassen

Rund 87.400 Katholikinnen und Katholiken sind im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten. Im Jahr zuvor waren es auch schon viele - aber nach den Kirchenskandalen des Jahres 2010 haben um 34.000 mehr Menschen die Kirchengemeinschaft verlassen als im Jahr zuvor. Sexuelle Gewalt in der Kirche seien Auslöser, aber nicht der tiefere Grund für die Entscheidung zum Austritt.

Mittagsjournal, 11.01.2011

Keine großen regionalen Unterschiede

Die in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Fälle sexueller Gewalt von Kirchenmännern gegenüber Minderjährigen sind wohl der Hauptgrund für die dramatischen Austrittszahlen aus der römisch-katholischen Kirche. Besonders hoch sind die Austrittszahlen im März und April gewesen, also in jenen Monaten, in denen besonders viele Fälle sexueller Gewalt bekannt wurden. Fast ein Drittel mehr Austritte als im Jahr 2009. Das ist ein österreichweiter Trend, der sich durch alle Diözesen zieht. Es gibt also keine großen regionalen Unterschiede, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war, wenn es irgendwo eine umstrittene Bischofsernennung gegeben hat.

Auch in Tirol 6.000 Austritte

Allein in der Erzdiözese Wien sind rund 25.000 ausgetreten, das sind um rund 9.000 mehr als im Jahr zuvor. in der Steiermark mehr als 15.000. In Oberösterreich fast 14.000, im Heiligen Land Tirol sind fast 6.000 ausgetreten. Im Jahr zuvor waren es rund 2.600.

Kärnten: Verdoppelung

Rein prozentmäßig ist die Kirchenaustrittsrate nirgends so dramatisch wie in Kärnten. In der Diözese Gurk-Klagenfurt hat sich die Zahl der Austritte 2010 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2009 fast verdoppelt. Allerdings: Die Austrittszahlen waren in Kärnten immer relativ niedrig, sodass eine Verdoppelung schneller erreicht ist als bei einer bereits hohen Ausgangsbasis. Diözesanbischof Alois Schwarz zieht aus den Zahlen ganz konkrete Schlussfolgerungen.

Abendjournal, 11.01.2011

Bischof Schwarz,

Austrittswillige ansprechen

Der Grazer Bischof Egon Kapellari hat sich in einer Aussendung "betroffen" über die hohen Austrittszahlen gezeigt und den Anstieg auf die Fälle sexueller Misshandlungen zurückgeführt. Wörtlich heißt es: Es tut sehr weh, dass viele Katholiken sich in diesem Zusammenhang von der Kirche abgewandt und ihren Kirchenaustritt erklärt haben." Und Willy Vieböck, der Chef des Pastoralamts in Linz, sagte bei einer Pressekonferenz am Vormittag: "Grundsätzlich glaube ich, dass wir nahe an den Menschen dran sind. Wir bemühen uns Austrittswillige zu erreichen."

"Kirchenleitung verantwortlich"

Hans-Peter Hurka, der Vorsitzende der kirchenkritischen Plattform "Wir sind Kirche". spricht von Unmut an der Kirchenbasis. Und er sieht eine eindeutige Verantwortung für die hohen Austrittszahlen. Hurka: "Der Anstieg der Austrittszahlen ist ein Wahnsinn. Die Verantwortung dafür trägt in jedem Fall die Kirchenleitung. Daie hat sie deswegen zu tragen, weil sie die Reformen verhindert hat und den Missbrauch vertuscht hat."

Nun sei es an der Zeit, endlich an Reformen zu denken. Nur so sei die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche wieder herzustellen.

Wiedereintritte

Einen Hoffnungsschimmer für eine geringe Veränderung der Austrittszahlen hat die katholische Kirche noch: nämlich die Wiedereintritte, die noch nicht statistisch ausgewertet sind. Diese werden aber die massive Austrittswelle nur geringfügig abschwächen können.

Weniger Geld

Für die katholische Kirche bedeuten die Austritte nicht nur einen Imageverlust, sondern auch eine Delle im Budget. Mehr als 5,7 Millionen Euro an Kirchenbeiträgen gehen der Kirche verloren.

Abendjournal, 11.01.2011

Austritte kosten Geld,

Weniger Menschen, weniger Katholiken

Mehr Austritte, weniger Mitglieder, weniger Geld in der Kassa: Auf diese Entwicklung habe sich die römisch-katholische Kirche längst eingestellt, betont Kardinal Christoph Schönborn: "Das tun wir seit Jahren. Die Katholikenzahl geht zurück, aber auch allgemeine Bevölkerungszahl geht zurück. Die Alterspyramide ist so, dass wir auch ohne Austritte weniger Katholiken haben werden."

"Keine Staatskirche mehr"

Den Mitgliederschwund insgesamt beurteilt der Erzbischof von Wien und Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz betont gelassen, im Lichte der historischen Entwicklung: "In Österreich war die katholische Kirche lange Staatskirche. Das ist vorbei."

Heute: Bewusste Entscheidung zum Glauben

Die römisch-katholische Kirche sei eben nicht mehr diese prägende Traditionskraft. "Es schmerzt jeder Kirchenaustritt. Heute ist jemand der bei der Kirche ist, bewusst bei der Kirche." Früher sei die Kirchenzugehörigkeit oft reine Tradition gewesen - heute sei sie eine bewusste Entscheidung aus dem Glauben.

Mittagsjournal, 11.01.2011

Kardinal Christoph Schönborn zu Kirchenaustritten