Über die Situation in seiner Heimat

Ägyptischer Künstler Elsayed Kandil

Elsayed Kandil wurde in Port-Said, Ägypten, geboren und lebt als österreichischer Staatsbürger in Wien. Er ist Schauspieler, Autor, Übersetzer und Film- und Theaterregisseur. Derzeit kann man ihn im Stadttheater in der Walfischgasse in Wien sehen, dort spielt er in Paul Schraders "Der Cleopatra Club" die Rolle des "Hussein al Ban".

Nach seiner Emigration spielte er bei freien Theatergruppen, kleinen und großen Bühnen in Österreich, etwa in der Theatergruppe 80 oder im Theater in der Josefstadt, und er war im deutschsprachigen Raum in Film und Fernsehen zu sehen. In den letzten Jahren arbeitete Elsayed Kandil als Literat und Filmemacher.

Kandil schrieb zahlreiche Erzählungen, Gedichte, Hörspiele und Theaterstücke, die in Wien aufgeführt wurden. Seine Werke setzen sich in Wort und Bild mit gesellschaftskritischen und philosophischen Themen auseinander. Elsayed Kandil ist ebenso als Übersetzer der Werke von Felix Mitterer ins Arabische tätig. Nach seinem letzten Filmprojekt, der Dokumentation "Abendland - Morgenland" (2003), kam ihm die Idee zur WIENIL Musikgruppe 2004, als dessen Gründer und künstlerischer Gesamtleiter Kandil fungiert.

Kulturjournal, 01.02.2011

"Ägyptische Intifada" 1977

Elsayed Kandil ist vor 34 Jahren nach Wien gekommen, damals war in Ägypten der gefeierte Präsident Anwar al Sadat an der Macht - international gefeiert wegen der Normalisierung zwischen Israel und Ägypten, für die der Rais und der israelische Regierungschef Menachem Begin 1978 den Friedensnobelpreis bekommen haben. Nach innen regierte er das Land mit eiserner Hand.

1977 war in Ägypten ein bewegtes Jahr. Im Juli gab es einen kurzen Grenzkrieg mit Libyen, wobei schon im Jänner wegen der Erhöhung der Brotpreise blutige Unruhen stattfanden, die manu militari niedergeschlagen wurden. Elsayed Kandil spricht von einer "ägyptischen Intifada": Leider habe die fast zwei Tage gedauert und wurde brutal niedergeschlagen. Ägyptens Intellektuelle hätten das Land dann verlassen, so Kandil.

Elsayed Kandil wollte in Berlin oder Paris, ja sogar in Moskau und Prag Film studieren, und landete schließlich in Wien - künstlerische Aktivitäten unterstanden schon damals in Ägypten der allmächtigen Zensurbehörde: Jedes Stück, dass man am Theater spielen wollte, musste vorher der Zensurbehörde vorgelegt werden. Genauso bei Filmen und bei Büchern und natürlich bei Zeitungen. "Die Oppositionellen hatten keinen Raum, um ihre Meinung zu sagen", so Kandil. Künstler mussten entweder weggehen, oder bleiben und immer wieder im Gefängnis landen.

Ausnahmekünstler

Als nach der Ermordung Sadats 1981 mit Hosni Mubarak wieder ein Offizier an die Macht kommt, ist nur die Kontinuität der Regimes gesichert, selbst wenn es einige kleine Erleichterungen gab, wie Elsayed Kandil meint. Trotz Repression und den Schwierigkeiten in Sachen Meinungsfreiheit, gibt es eine Reihe von Intellektuellen und Künstlern, die im Land bleiben - einerseits berühmte Namen, die wegen ihres hohen Bekanntheitsgrades nicht so leicht behelligt werden können, aber auch da gebe es traurige Ausnahmen: "Farag Foda, der große Denker, zum Beispiel wurde vor seinem Haus." Wieder andere arbeiten im Untergrund.

Es gab immer wieder große Ausnahmekünstler in Ägypten, etwa Literaturpreisträger Nagib Mahfuz. Mahfuz war nie außerhalb von Ägypten, außer einem einzigen Mal in seinem Leben. Er war in Jemen, so Kandil. Nicht einmal seinen Nobelpreis holte er sich persönlich ab.

Kaum noch Qualitätsfilme

Zu diesen Ausnahmeerscheinungen zählt auch der 2006 verstorbene Filmregisseur Youssef Chahine. Über 50 Filme hat er realisiert, er bekam zahlreiche Preise, unter anderem 1997 den Sonderpreis für sein Lebenswerk in Cannes. In den 1960er und 70er Jahren hatte Ägypten eine blühende Filmindustrie, erzählt Elsayed Kandil: "Bis in die Mitte der 70er Jahre produzierte Ägypten pro Jahr fast 365 Filme, fast einen Film pro Tag." 2005 waren es nach offiziellen Angaben nur mehr 23.

Für Elsayed Kandil liegt das an der Privatisierung durch Mubarak. Vorher gab es ein System der staatlichen Förderung, das mit dem österreichischen vergleichbar war. Ein Youssef Chahine konnte darüber hinaus seine Kontakte, vor allem nach Frankreich, für internationale Kooperation nützen. Sonst bedeutete die Privatisierung den Niedergang von Filmen mit Qualität, meint Elsayed Kandil: Das Wichtigste sei den Produzenten die Geldvermehrung, so Kandil: "Die Qualität leidet darunter."

"Offen für die ganze Welt"

Zu den aktuellen Ereignissen will Elsayed Kandil keine Prognose abgeben, er verfolge sie aber aufmerksam in den Medien. Große Angst hat er vor einem blutigen Ausgang der Ereignisse. Er befürchtet ein Massaker an seinem Volk.

Falls es einen Umsturz gibt, sieht er eine Gefahr eines islamistischen Regimes? Wenn diese Revolution Anfang der 1990er Jahre stattgefunden hätte, wäre das möglich gewesen, aber jetzt nicht mehr, sagt Kandil. "Diese jungen Leute sind gut ausgebildet, sie sind offen für die ganze Welt, sie sind im Internet unterwegs" und sie lehnen ein Regime wie im Iran ab, "sie lehnen die Moslem-Bruderschaft mit ihrer Ideologie ab."

Angenommen, Ägypten bekommt eine neue demokratische Verfassung und Regierung - würde Elsayed Kandil nach Ägypten zurückkehren? "Mein Herz ist in Ägypten und mein Verstand in Wien."

Textfassung: Ruth Halle