Die erstaunliche Geschichte des Fertigteilhauses

Prefab Houses

Arnt Cobbers und Oliver Jahn rekapitulieren in ihrem neuen Buch die Geschichte der Fertighäuser und stellen 59 stilbildende Projekte genauer vor: Sie zeigen Motohomes, Easy Domes und Living Boxes, Loft Cubes und Modern Modulars, sowie die Small und Universal World Houses.

Der Zeit weit voraus

"Aluminaire" - so nannte der aus der Schweiz stammende Architekt und Gropius-Schüler Albert Frey sein 1931 in New York präsentiertes extravagantes Wohnhaus: ein dreigeschossiges Gebäude aus Aluminium, Glas und Stahl. Ein Rahmen aus Stahl war mit dünnem Wellblech verkleidet, das auf Wärmedämmplatten aufgebracht war, Böden, Türen und die Rahmen der Fensterbänder waren ebenfalls aus Stahl gefertigt.

Der großzügig dimensionierte Flachbau verfügte unter anderem über eine Bibliothek, einen Fitnessraum und einen fünf Meter hohen, zweigeschossigen Wohnraum, der zu einer Seite hin komplett verglast war. Ein stattliches Haus zu niedrigem Preis: das "Aluminaire" war als Fertigbau konzipiert und sollte bei einer Auflage von 10.000 Stück nur 3.200 Dollar kosten. Doch es blieb ein Unikat. Ein Flachdachhaus aus Aluminium war so ziemlich das Letzte, was damals der Mittelklasse-Amerikaner haben wollte.

Freys Projekt floppte - und zog den Spott der Medien auf sich. Die "New York Sun" nannte das "Aluminaire" "Konservendosenhaus": "Wenn Papa eine neue Türöffnung für sein Zimmer haben will, greift er nicht zur Säge, sondern zum Dosenöffner."

Ein Kind der Industrialisierung

Das Beispiel des "Aluminaire" ist einem großformatigen Bildband des Taschen-Verlags entnommen, das die Geschichte der Fertighäuser rekapituliert und 59 stilbildende Projekte genauer vorstellt: "Prefab Houses" von Arnt Cobbers und Oliver Jahn. Es zeigt: Die Fertig- oder Prefab Houses - die Motohomes, Easy Domes und Living Boxes, die Loft Cubes und Modern Modulars, die Small und Universal World Houses, die die Autoren in dem knapp 400 Seiten starken, mit Fotos, Grundrissen und zeitgenössischer Werbung reich illustrierten Buch vorstellen - haben eine lange, auf- und anregende Geschichte - und sind mitnichten Primitivhäuser.

Ein Fertighaus im engeren Sinne wird entweder in einer Fabrik gefertigt und als Ganzes am "Bauplatz" aufgestellt, oder es besteht aus industriell vorgefertigten Komponenten, die an die Baustelle angeliefert und dort endmontiert werden. (...) Zumeist sollen Baukastensysteme für eine kostengünstige Vorfabrikation der Baukomponenten und eine schnelle und möglichst einfache Montage vor Ort sorgen.

Das Fertighaus ist ein Kind der Industrialisierung. Vor allem bei europäischen Siedlern, die nach Nordamerika oder Australien auswanderten, herrschte Bedarf an einem günstigen Heim, das einfach, schnell und auch von Nicht-Fachleuten aufgebaut werden konnte.

Die Hauszustellung

Rahmenkonstruktionen, die mit vorgefertigten Paneelen beplankt wurden, erwiesen sich als praktisch und preiswert. Das "Portable Colonial Cottage for Emigrants" des englischen Zimmermanns Herbert Manning, entstanden 1833, gilt als das erste Haus in Fertigbauweise: ein Cottage als Holzrahmenkonstruktion mit Satteldach aus Zeltleinwand, entworfen für den Sohn des Zimmermanns, der nach Australien auswandern wollte.

Das Beispiel machte Schule. Im amerikanischen Westen entstanden ganze Städte mit Häusern in Holzleichtbauweise, oft für Goldgräber, Minen- oder Fabrikarbeiter. Firmen wie Aladdin oder Sears, Roebuck and Co. begannen Anfang des 20. Jahrhunderts, Fertighäuser per Versandkatalog anzubieten - mit zahllosen Modellvariationen, die per Lastwagen oder Bahnfracht zugestellt wurden, inklusive Bedienungsanleitung zum Selbstaufbau.

Gestalterische und soziale Herausforderung

In dieser Zeit fingen auch die jungen Architekten der Avantgarde an, sich für die Fertigbautechnik zu interessieren. "Prefab Houses" versprachen eine Lösung der sozialen Frage. Jeder Amerikaner, meinte Frank Lloyd Wright, habe ein Recht darauf, ein Haus zu besitzen, das höheren ästhetischen Ansprüchen genüge und dennoch erschwinglich sei.

Und so experimentierten Architekten wie Frank Lloyd Wright und Walter Gropius, Jean Prouvé und Richard Buckminster Fuller mit Baukasten- und Raumzellensystemen, die wegweisend wurden - und doch nicht in Serie gingen. "Dymaxion House" nannte Buckminster Fuller seine runden Blechkugeln mit Falttüren und per Knopfdruck ins Zimmer schwenkbaren Regalen und Stauschränken.

Der Entwurf war ein Angriff auf das althergebrachte Verständnis dessen, wie ein Wohnhaus auszusehen habe (...) Kaufinteressenten fanden sich jedoch keine. (...) Die Idee, ein Haus wie eine Autokarosserie ganz aus Metall zu fertigen, war zum damaligen Zeitpunkt für das Publikum zu neu und ungewohnt.

Futurismus versus Konvention

Die Geschichte der Fertighäuser ist keine reine Erfolgsgeschichte. Viele ungewöhnliche Entwürfe blieben Prototypen. Der Markt verlangte nach Konventionellem, Häusern mit Schindelverkleidung und Satteldach. Und doch wurden kreative Architekten nicht müde, kühne, spektakuläre und futuristisch anmutende Bauten zu entwerfen.

"Bulle Six Coques" ("Blase aus sechs Schalen") hieß Jean Manevals an ein UFO gemahnendes, aus sechs sternförmig angeordneten Polyesterelementen bestehendes Minihaus von 1967. "FG 2000" nannte Wolfgang Feierbach seinen 1968 entstandenen Fiberglaskubus mit konkaven Außenwänden und schriller Popart-Ausstattung; "Futuro" hieß Matti Suuronens im gleichen Jahr entwickeltes, raumkapselähnliches Kunststoffellipsoid, das man sich per Hubschrauber liefern lassen konnte.

In den 1970er Jahren empfing der Fotograf und Werbeguru Charles Wilp in seinem auf dem Dach des eigenen Hauses in Düsseldorf aufgestellten Futuro Gäste wie Andy Warhol oder Christo. (...) Eines der Futuros, mit der Seriennummer 13, wurde von der DDR erworben und 1969 im Kulturpark Berlin-Treptow aufgestellt. Dort (...) wurde es allerdings argwöhnisch als mögliche Stasi-Abhöranlage betrachtet.

Europa zieht nach

Während in Nordamerika oder Skandinavien Prefab Houses eine lange Tradition haben, hatten sie es hierzulande lange Zeit schwer. Sie galten als 08/15-Immobilien im Baracken-Look. Das hat sich mittlerweile geändert. Auch Stararchitekten entdecken das Fertighaus. So präsentierte vor gut einem Jahr Daniel Libeskind eine Wohnskulptur auf Fertigteilbasis, die 30mal in alle Welt verkauft werden soll - eine wild gezackte Luxusvilla mit mehr als 500 Quadratmeter Wohnfläche.

Dass es auch kleiner geht, beweisen das Boxhome der Architekten Rintala Eggertsson, das auf 19 Quadratmeter Wohnfläche Küche, Bad, Wohn- und Schlafraum unterbringt, oder die Minibambushütten von Tyin Tegnestue, die als Exportartikel für die Dritte Welt gedacht sind - genauso wie das kleine Universal World House von Dirk Donath mit seinen Wabenkernpaneelen. Etwas größer ist "SU-SI" vom Vorarlberger Fertighausspezialisten Oskar Leon Kaufmann: ein elegantes Flachdachhaus, das immerhin schon mehr als 20mal verkauft wurde.

Beispiele, die deutlich machen: Das Fertighaus ist einer der spannendsten Bereiche der Architekturgeschichte, geht es doch in exemplarischer Weise um die Verbindung von ökonomischen und ökologischen Aspekten, von sozialen und ästhetischen, von innovativen Fertigungstechniken und moderner Formgebung, von Effizienz und Klarheit - oder um das, was einer der in Arnt Cobbers' und Oliver Jahns wunderbarem Buch vorgestellten Architekten "responsible design" nennt. Auch wenn dabei Gebilde herauskommen, die bei den Zeitgenossen zunächst Befremden auslösen - wie das kühne "Konservendosenhaus".

Service

Arndt Cobbers und Oliver Jahn, "Prefab Houses. Die erstaunliche Geschichte des Fertighauses", Taschen Verlag