Vergebliche Suche nach dem Vater

Wer war Alois Zuckerstätter?

Ich weiß bis heute nichts von ihm, außer, dass er mit meiner Mutter in die gleiche erste Volksschulklasse gegangen ist und mit dreiundvierzig Jahren (...) in Frankfurt an der Oder umgekommen ist.

Ich weiß bis heute nichts von ihm, außer, dass er mit meiner Mutter in die gleiche erste Volksschulklasse gegangen ist und mit dreiundvierzig Jahren (...) in Frankfurt an der Oder umgekommen ist. (...) Wie groß muss das Verbrechen oder müssen die Verbrechen meines leiblichen Vaters gewesen sein, dass ich in meiner Familie, ja selbst bei meinem Großvater, seinen Namen nicht erwähnen durfte, das Wort Alois auszusprechen, war mir nicht erlaubt gewesen.

Eine Halbschwester in Deutschland

Die Fragen Bernhards nach seinem Vater haben einem Professor im südfranzösischen Perpignan keine Ruhe gelassen: Louis Huguet, Literaturwissenschaftler und Genealoge. Anfang der 1980er Jahre, mit mehr als 60 Jahren, beginnt Huguet mit seiner biografischen Recherche, mit nichts in den Händen als den spärlichen Angaben und Spekulationen in Bernhards autobiografischen Werken.

Acht Jahre lang ermittelt Huguet in Österreich, in Holland, Belgien und Deutschland, im Februar 1989 hat er ein umfangreiches Dossier, insgesamt 1.000 Seiten, fertig; mit präzisen Details zu den Familien Bernhard, Freumbichler, Zuckerstätter und Fabjan. Dass Bernhards Vater in Deutschland fünf Kinder gezeugt hätte, dafür gibt es keine Belege. Aber im Zuge seiner Recherchen stößt er auf eine bis dahin unbekannte Halbschwester von Thomas Bernhard, die noch in der DDR leben sollte: Hilda.

Huguet kommt nicht mehr dazu, Bernhard die freudige Botschaft zu übermitteln. Denn der Brief der Halbschwester trifft in Perpignan am 16. Februar 1989 ein - ausgerechnet an dem Tag, an dem die Familie Bernhards den Tod des Schriftstellers bekannt gibt. Thomas Bernhard war wenige Tage davor, am 12. Februar, in Gmunden gestorben.

Auf und davon

Die Geschichte beginnt in Henndorf bei Salzburg. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges besuchen dort Bernhards Eltern, Alois Zuckerstätter und Hertha Bernhard, die Volksschule. Sie ist die Tochter des Heimatschriftstellers Johannes Freumbichler und Anna Bernhards, er ist der Bauernsohn, der, den Recherchen Louis Huguets zufolge, eine unbeständige Kindheit hatte. Jahre später treffen die beiden einander wieder. Und es kommt zu der Begegnung, die Thomas Bernhard zur Folge hat.

Als sie ihm sagt, dass sie schwanger sei, verschwindet er. Aber er schreibt Briefe. Einmal schreibt ihr Alois aus Kitzbühel, dann aus Kirchberg, aus Neumarkt oder aus Dornbirn: Er ist ständig auf der Achse, es ist Anfang der 1930er Jahre, und es ist schwer, Arbeit zu finden. Alois verdingt sich als Saisonarbeiter, was auch, so Huguet, seiner Abenteuerlust entgegenkommt. Trotz seiner ständig wechselnden Aufenthalte gelingt es Hertha immer wieder, ihm Briefe zukommen zu lassen. Auch er schreibt ihr Briefe. Schöne Briefe, lange Briefe - aber zurück kommt er nicht.

Wer weiß, ob das Kind überhaupt von ihm ist, denkt er. In seinen Briefen betont er dagegen gerne sein Pflichtgefühl, oder er appelliert an Herthas religiöse Gefühle. Es sind Briefe voller Lügen, wird Hertha Bernhard später sagen.

Der unsichtbare Mann, von dem es hin und wieder hieß, dass er nur aus Lügen und Gemeinheit bestand, war der lebenslängliche Spielverderber. Lange Briefe, ja, aber alles Gemeinheiten. Viel Versprechungen, ja, aber alles Lügen. Ja, eine Kunst beherrschte Dein Vater, die Kunst der Lüge! so meine Mutter. (...) In Frankfurt an der Oder hat er noch fünf Kinder gemacht, lauter solche Kreaturen wie Du!

Heirat ausgeschlossen

Es ist Herthas Mutter, Anna Bernhard, die Alois in einem Brief die Geburt seines Sohnes Thomas am 9. Februar 1931 mitteilt. Der zeigt sich in seiner Antwort zunächst erfreut: "Dank Ihnen vielmals für Ihre Glückwünsche. Und ehrlich gestanden, bin ich eigentlich voller Freude über diesen kleinen Knaben und sehne mich nur danach, ihn zu sehen."

Als sie ihm jedoch vorschlägt, Hertha zu heiraten, wird er - für seine Verhältnisse - vergleichsweise deutlich: "Nun, sei es, wie es ist, das wäre die größte Macht der Erde nicht imstande, mich zu einem Menschen zu zwingen, mit ihm und für ihn zu leben, wenn er mir nicht sympathisch und ich für ihn keinen Atem von Liebe empfinde und müsste ich ein Königreich verlieren."

1931, als ich geboren wurde, war mein Geburtsort nicht zufällig Heerlen in den Niederlanden (...). In Henndorf, dem kleinen Nest, wäre meine Geburt völlig unmöglich gewesen, ein Skandal, und die Verdammung meiner Mutter wären die unausbleibliche Folge gewesen in einer Zeit, die uneheliche Kinder nicht haben wollte.

Wie der Vater, so der Sohn?

Je älter Bernhard wird, desto schwieriger gestaltet sich die Beziehung zu seiner Mutter. Schuld daran ist auch der in seiner Abwesenheit ständig präsente Vater, dem er sich, rein äußerlich, immer mehr anzugleichen beginnt.

Wenn sie mich sah, sah sie meinen Vater, ihren Liebhaber, der sie stehen gelassen hatte. Sie sah in mir ihren Zerstörer nur allzu deutlich, das gleiche Gesicht, wie ich weiß, denn ich habe immerhin einmal eine Fotografie meines Vaters gesehen. Die Gleichheit war verblüffend. Mein Gesicht war dem Gesicht meines Vaters nicht nur ähnlich, es war das gleiche. (...)

Bei der geringsten Gelegenheit griff sie zum Ochsenziemer. Da mich die körperliche Züchtigung letzten Endes immer unbeeindruckt gelassen hat, was ihr niemals entgangen war, versuchte sie, mich mit den fürchterlichsten Sätzen in die Knie zu zwingen, sie verletzte jedesmal meine Seele zutiefst, wenn sie Du hast mir noch gefehlt oder Du bist mein ganzes Unglück, Dich soll der Teufel holen! (...) Du bist nichts wert! Du Unfriedenstifter! Du Lügner! Das ist nur eine Auswahl ihrer von Fall zu Fall gegen mich ausgestoßenen Verfluchungen, die nichts als ihre Hilflosigkeit mir gegenüber bewiesen. Tatsächlich hatte sie mir immer das Gefühl gegeben, dass ich ihr zeitlebens im Weg gestanden bin, dass ich ihr vollkommenes Glück verhindert habe.

Vaterschaft erwiesen

Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass Alois nicht mehr auftaucht. Aber wenigstens Alimente soll er zahlen. Gendarmerie und Amtsgerichte werden bemüht, doch Alois ist "unsteten Aufenthaltes", wie es heißt. Sein Aufenthaltsort kann nicht ermittelt werden.

Louis Huguets Recherchen zufolge ist es ihm bereits im Mai 1931, kurz nach der Geburt Bernhards, gelungen, sich von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch einen Reisepass ausstellen zu lassen - zu einem Zeitpunkt, als man bereits nach ihm sucht. Spätestens 1935 lassen sich seine Spuren in Deutschland nachweisen.

1938 wird Alois Zuckerstätter von den österreichischen Behörden in einem katholischen Heim für Junggesellen am Bülowplatz in Berlin ausgeforscht. Man lädt ihn vor, doch er weigert sich, seinen Sohn anzuerkennen. Das Kind könne nicht von ihm sein, Hertha hätte zum Zeitpunkt der Empfängnis mit anderen Männern Kontakt gehabt. Einen Vaterschaftstest verweigert er jedoch. Schließlich wird er vom Jugendamt dazu verpflichtet. Der Befund ist eindeutig, doch bezahlen tut er nicht.

Einsam gestorben

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Auch er hat inzwischen geheiratet. Eine Frau namens Hedwig Herzog. Auch Sie eine Frau, die, wie Hertha, bei einer Baronin gearbeitet hatte. Der Lebenslauf Hedwig Herzogs verrät auch etwas von den Spannungen zwischen den beiden. Schließlich ist Hilda aus allen Wolken gefallen, als sie im Februar 1989 Louis Huguet, der Professor aus Perpignan anrief, um ihr mitzuteilen, dass sie in Österreich einen Halbbruder habe, und dass dieser Bruder Thomas Bernhard sei. Es stellt sich heraus, dass auch sie von ihrem Vater fast nichts gewusst hat.

In den wenigen Monaten, in denen Alois Zuckerstätter mit Hedwig Herzog verheiratet ist, kommt es häufig zu Streit. Er ist ständig unterwegs, hat Probleme in der Arbeit und ist ständig betrunken. Bernhard-Biografen haben oft die Ansicht geäußert, dass Alois möglicherweise Selbstmord begangen hätte. Sicher ist jedenfalls, dass er nicht erschlagen oder erschossen wurde, wie Bernhard vermutete. Alois Zuckerstätter stirbt am 2. November 1940 in Berlin.

Das Leben an sich, die Existenz an sich, alles ist ein Gemeinplatz.

Service

Die Zitate stammen aus Thomas Bernhards Büchern "Ein Kind", "Die Kälte. Eine Isolation", und "Die Ursache. Eine Andeutung", alle Residenz Verlag

Louis Huguet, "Chronologie. Thomas Bernhard und Johannes Freumbichler", Bibliothek der Provinz