Dokumentarfilm von Cyril Tuschi
Der Aufstieg und Fall des Michail Chodorkowski
Der frühere russische Ölmagnat und Chef des Jukos-Konzerns, Michail Chodorkowski, war der reichste Mann in Russland. Jetzt ist der 47-Jährige der berühmteste Häftling im Lande. Fünf Jahre hat Cyril Tuschi an seinem neuen Dokumentarfilm "Khodorkovsky" gearbeitet. Kurz vor der Premiere bei der Berlinale wurde das Werk nun geklaut - und der Regisseur hat Angst.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 10.02.2011
Der charismatische und begabte Manager und Mäzen Michail Chodorkowski gilt für viele in Russland als Landesverräter und Großganove. Der Mann, der sich für Demokratie und Meinungsfreiheit in seinem Land einsetzte und trotz einer bevorstehenden Verhaftung von einer Auslandsreise zurückkehrte, sitzt seit 2004 in einem russischen Gefängnis. Er wurde in zwei Prozessen verurteilt und wird erst im Jahr 2017 ein freier Mann sein, wenn sein Intimfeind, Premier Wladimir Putin, das zulässt.
Der Oligarch im Gefängnis
2006 wurde Cyril Tuschi zu einem Filmfestival in Sibirien eingeladen. Dort erfuhr er, dass die Stadt und das Festival jahrelang vom Ölkonzern Jukos profitieren konnten. Der frühere Konzernchef Michail Chodorkowski, früher der reichste Mann in Russland, saß jedoch im Gefängnis. Es hieß, er hatte einen Konflikt mit dem damaligen Staatspräsidenten Vladimir Putin. Tuschi, dessen Vorfahren aus Russland stammen, fand diese Geschichte spannend und begann, einen Dokumentarfilm über Chodorkowski zu drehen. Das war keine leichte Aufgabe, musste Cyril Tuschi in Moskau erfahren:
"Auf allen Seiten gab es erst mal Berührungsängste. Ein Beispiel: Wir hatten zehn Interviewtermine von Deutschland aus organisiert. Wir haben viel Geld ausgegeben, um Kameramann, Kameraassistent, Equipment, Zoll, Übergepäck, alles nach Moskau geschleppt. Und dann wurden alle zehn Interviews abgesagt".
Rund 100 Interviews
Ein russischer Oppositionspolitiker riet dem frustrierten Filmemacher, wenn er überhaupt einen Film in Russland drehen wolle, dann einen Naturfilm oder das Porträt eines Menschen, der mindestens 150 Jahren tot ist. Aber Cyril Tuschi ließ sich nicht beirren und führte rund 100 Interviews mit Weggefährten Chodorkowskis und Zeitzeugen. Im Film zeigt er, dass Chodorkowski sich als Kämpfer für die Freiheit in Russland betrachtet:
"Und ich glaube, Chodorkowski hat solche großen Ziele. Er sagt nicht, ich will eine Million, er sagt nicht 'ich will Präsident werden', sondern 'ich will die Menschheit, vor allem die russische befreien'. Und deswegen kam mir diese Assoziation mit Messias, weil er sich als der Befreier sieht. Ich glaube, er hatte schon immer sehr große Ziele."
Putins Rache
Als Sohn eines Juden durfte der ausgebildete Chemiker Michail Chodorkowskis in der Rüstungsindustrie nicht arbeiten. Er wurde Vorsitzender der ersten privaten Bank, die er mitbegründete, und beriet die Regierung und Präsident Boris Jelzin. Chodorkowski und seine Partner erwarben den zweitgrößten russischen Ölkonzern Jukos für einen Spottpreis, den er nach westlichem Muster saniert und in den größten Steuerzahler Russlands verwandelte.
Chodorkowskis Abstieg begann, als er im Wahlkampf 2003 die beiden Oppositionsparteien finanzierte und den erfolgreichen Ölkonzern Jukos vom Einfluss des Staates befreien wollte. Er hatte die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht, denn: Präsident Wladimir Putin schlug zurück.
Als einen regelrechten Showdown präsentiert Tuschi die Sitzung der Oligarchen im Kreml, auf der Putin und Chodorkowski aneinander geraten - vor laufenden Kameras einer Live-Sendung.
"Ich war anwesend bei diesem Treffen und ich kann Ihnen sagen, dass Chodorkowski sich arrogant verhalten hat", erinnert sich Igor Yurgens, Berater des russischen Präsidenten Medvedev. "Wenn man vor dem amtierenden Präsidenten sitzt und ihm vorwirft, er hätte die Korruption im staatlich kontrollierten Ölkonzern gedeckt, ist das ein bisschen zu viel. Er hätte einen eleganteren Weg, einen weniger konfrontativen Weg finden können. Aber das, was er sagte, entsprach der Wahrheit"."
"Naive Vorstellungen" von der Justiz
Chodorkowski wurde wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt, sein Unternehmen Jukos wurde zerschlagen. Beim zweiten Prozess befand ihn ein Moskauer Gericht für schuldig, 218 Millionen Tonnen Erdöl unterschlagen zu haben. Überraschenderweise durfte Cyril Tuschi im Gerichtssaal einmal Michail Chodorkowski kurz befragen. Das war sein erstes Interview vor der Kamera seit seiner Verhaftung 2003. Ob er bewusst das Gefängnis gesucht habe, fragte er Chodorkowski, (und wenn ja warum)?
"Nachdem mein Geschäftspartner Platon Lebedew festgenommen war, informierte man mich, dass ich der Nächste sei", so Chodorkowski. "Man gab mir die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen. Aber ich kam zurück, obwohl mir klar war, dass ich ins Gefängnis komme. Ich glaubte, ich müsste vor Gericht zu meiner Wahrheit und meinem Verhalten stehen. Außerdem hatte ich naive Vorstellungen von der Justiz."
Good guy, bad guy
Der Film zeichnet ein eher positives Bild von Chodorkowski, obwohl anfangs als Teil des korrupten Systems und ein Mann, der Vereinbarungen bricht, wenn es ihm nützt. Putin wiederum ist der "Bad Guy", aber zugleich schlau und diskret. Und Joschka Fischer erklärt, dass nationale Interessen und nicht die Sorge um Menschenrechte die Welt regiert.
(Russlands Präsident Medwedjew stimmte Anfang Februar überraschend einer Überprüfung des zweiten Urteils gegen Chodorkowski zu. Wenn Putin aber die Oberhand behält, müsste Chodorkowski sogar einen dritten Prozess befürchten.)
Chodorkowskis langer Atem und innere Stärke braucht Tuschi zurzeit selbst. Denn einige Tage vor der Weltpremiere des Films wurden seine Berliner Produktionsräume verwüstet. Zwei PCs und zwei Laptops mit der Endfassung des Films wurden gestohlen. Obwohl er Angst hat, versichert Tuschi, dass die Weltpremiere in jedem Fall stattfinden wird.