Experten-Gespräch mit Shashank Joshi

Wie fest sitzt Ghaddafi noch im Sattel?

Die Ereignisse in Libyen überstürzen sich. Noch vor wenigen Tagen hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass auch die schon mehr als vier Jahrzehnte währende und mit eiserner Hand ausgeübte Herrschaft Muamar Ghaddafis von Massenprotesten in Frage gestellt wird. Wie sicher sitzt Gaddafi noch im Sattel?

Und wird er weiteres Blutvergießen riskieren, um die Proteste niederzuschlagen? Diese Fragen hat Christian Lininger dem Militär- und Nahost-Experten Shashank Joshi vom Royal United Services Institute in London gestellt.

Mittagsjournal, 22.02.2011

"Bewegung mit breiter Basis"

Ghaddafi hätte darauf gesetzt, dass sich Proteste unter Anwendung von Gewalt unterdrücken ließen, doch dieses Rezept sei nicht aufgegangen, sagt der Militär- und Nahost Experte Shashank Joshi. In nur wenigen Tagen sei das in 42 Jahren aufgebaute Herrschaftsgebäude Ghaddafis zerbröckelt. Nicht nur Minister und Armeeeinheiten - auch zwei der mächtigsten Stämme des Landes hätten sich gegen ihn gestellt. Man wisse zwar nicht, wer genau hinter den Protesten stehe, aber man wisse, dass die Bewegung eine breite Basis habe, so der Experte. Die Proteste hätten auch die Phantasien jener im Zentrum der Macht beflügelt.

"Teile der Armee nicht mehr loyal"

Verlässlichen Quellen zufolge kämen nicht nur einzelne Söldner, sondern ganze Spezialeinheiten aus dem Tschad und aus den französischen Ländern Nordafrikas gegen die Demonstranten zum Einsatz, so Shashank Joshi. Und das zeige, dass das Regime wichtige Teile der Armee nicht mehr für loyal halte. Teile der Armee hätten sich zwar auf die Seite der Demonstranten gestellt. Genug Einheiten, deren Privilegien mit Ghaddafis Regime verknüpft seien, seien allerdings nach wie vor bereit, auf die Demonstranten zu schießen.

"Brutalität des Regimes nicht unterschätzen"

Für Ghaddafi sei es bereits zu spät, sich mit Zugeständnissen zu retten, so die Einschätzung des Nahostexperten. Die Beziehung zu seiner Bevölkerung könne nach den Vorkommnissen der letzten Tage nicht mehr normalisiert werden. Es sei durchaus möglich, dass Ghaddafi bis zum letzten Mann kämpfen werde. Man solle die Brutalität dieses Regimes nicht unterschätzen, so Shashank Joshi.

Es könnte durchaus sein, dass Ghaddafi aus Tripolis fliehen und mit Verbündeten eine Gegenoffensive starteen werde. Das würde sehr blutig werden, so Shashank Joshi. Der Militärexperte spricht von einem drohenden Bürgerkrieg. Seine Hoffnung ist allerdings, dass sich dann auch die letzten Gefolgsleute Ghaddafis rasch von ihm abwenden und die Kämpfe ein baldiges Ende finden.