Ein libyscher Exilautor erzählt

"Eine Lüge nach der anderen"

Viele Intellektuelle und Künstler sind schon vor Jahren aus Libyen geflüchtet. Einer von ihnen ist der Autor Hischam Matar. Sein Vater wurde vom Regime verschleppt, er lebt im Exil in London. In seinem Roman "Im Land der Männer" erzählt Matar aus der Sicht eines Kindes, in welcher Gefahr Andersdenkende in Libyen leben müssen.

Mittagsjournal, 07.03.2011

Bange Hoffnungen

Hisham Matar ist 15 Jahre alt, als sein Vater von Gaddafis Schergen verschleppt wird und er selbst Libyen verlassen muss. Dennoch ist Libyen für ihn immer noch Heimat: "Ich bin sicherlich Libyer." Dass Matar die aktuellen Ereignisse in Libyen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, versteht sich von selbst: "Ich bin hoffnungsvoll, vielleicht auch aufgeregt, was die Zukunft betrifft. Aber zugleich habe ich Angst. Wie viele Menschen wird das Regime noch töten, bis es endlich aufgibt."

Realitätsfremd und psychotisch

Hisham Matars eigene Lebensgeschichte ist mit dem Regime Gaddafis negativ verknüpft. Sein Vater war Diplomat und Unternehmer, er erfuhr die ganze Grausamkeit des Regimes, weil er mit Gaddafi nichts zu tun haben wollte. "Mein Vater wurde aus seinem Zuhause verschleppt und ohne Gerichtsverfahren verurteilt. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist." Der 41-jährige Literat weiß also aus eigener Erfahrung, wozu der Diktator fähig ist. Er vergleicht Gaddafi mit König Richard III. Zumindest laut Shakespeare beschließt dieser, verstrickt in einer selbstfabrizierten Realität, ein Bösewicht zu werden. "Man bemerkt es bei seine Reden, eine Lüge nach der anderen. Er hat jeden Realitätsinn verloren und wenn man mit Lügen lebt, mit unverschämten, lächerlichen Lügen wie es Gaddafi tut und schon immer getan hat, dann wird das zu einer Art Psychose", sagt Matar.

Akzeptanz des Westens erkauft

In den vergangenen acht Jahren hat es Gaddafi geschafft, den Westen für sich einzunehmen. Tatsächlich haben nicht wenige Politiker geglaubt, der libysche Staatschef habe sich geändert. Er sei zwar nach wie vor exzentrisch, mit seinen Phantasieuniformen und dem Zelt, das er zu allen seinen Besuchen mitnimmt. Aber so böse, wie man angenommen habe, sei er doch nicht. Das dachten viele und erklärten Gaddafi gleichsam für salonfähig. "Gaddafi musste nicht viel tun, um den Westen zu überzeugen. Es war sein Geld, das den Westen überzeugt hat, oder genauer gesagt, das Geld Libyens, das Gaddafi gestohlen hat. Und er hat niemals bereut, Terroristen unterstützt zu haben."

Medizin statt Militär

Trotzdem hat der Westen die Diktatur Gaddafis indirekt verlängert. Das will Hisham Matar nicht vergessen. Aber der Schriftsteller kann sich eine Art Wiedergutmachung vorstellen, denn Libyen braucht jetzt Hilfe. "Medizinische Güter, Nahrungsmittel, das ist jetzt unglaublich wichtig. Es geht nicht um eine militärische Intervention. Das will niemand. Die Libyer sind stolz. Das ist ihre Revolution", sagt Hisham Matar. Er weiß, dass dem Land nach Gaddafi eine schwierige Zeit und ein schmerzvoller Heilungsprozess bevorstehen. Aber er glaubt fest daran, dass Libyen auch das noch schaffen wird.

Mittagsjournal, 07.03.2011

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary im Mittagsjournal-Gespräch mit Christian Williwald

Vergangene Woche hat der sogenannte Militärrat der Aufständischen einen internationalen Militäreinsatz gefordert. Dieser Militärrat organisiert den Kampf gegen Gaddafi und er will, dass ausländische Flugzeuge den libyschen Luftraum unter Kontrolle bringen. Damit Gaddafi die Rebellen nicht länger aus der Luft bombardieren kann. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary war bis Sonntagabend in Libyen.

Mittagsjournal, 07.03.2011

Ein Bericht über die aktuelle Situation in Libyen

Die Lage in Libyen gleicht immer mehr einem Bürgerkrieg. Aufständische kontrollieren den Osten, Gaddafi-Truppen den Westen. Gaddafi und seine Anhänger konnten in den letzten Tagen wieder einige Gebiete zurückerobern. Misarata, die drittgrößte Stadt Libyens, ist weiter heftig umkämpft. Ebenso wie die wichtige Ölhafenstand Ras Lanuf. Tausende sind auf der Flucht. Gaddafi erlaubt jetzt, dass die UNO Beobachter ins Land schickt. Sie sollen sich ein Bild davon machen, wie es den Menschen geht. Ob sie die umkämpften Gebiete zu sehen bekommen, ist zweifelhaft.