Kreativität als Dolmetscher

Erwin Wurm über Werner Schwab

"Durch die Kunst war es mir möglich, eine Welt kennenzulernen und zu erleben, die für mich einzigartig ist. Die Faszination des Lebens erfahre ich durch die Kunst." (Erwin Wurm)

Erwin Wurm, Künstler

"Wien war dunkel. Vorwiegend grau."

Alltag und Kunst

"Schöner wohnen" heißt die ungewöhnliche Möbelausstellung des Künstlers, die derzeit im Wiener Museum für Angewandte Kunst zu sehen ist. Einmal mehr vertritt Wurm damit seine Auffassung, dass Kunst und Alltagsleben eng miteinander verbunden sind: Wie ein Gebrauchsgegenstand, ein Möbelstück, übers Alltägliche hinaus auf Haltungen und Weltanschauungen des Besitzers schließen lässt, so fließen Kunst und Leben ineinander. In besonders glücklichen Fällen kommt es durch den Geist der Kunst zu bleibenden Begegnungen.

"Das war Werner Schwab, den ich mit 17 kennengelernt habe. Schwab ist auch in Graz aufgewachsen. Wir waren eine Dreierbande: Janos Erdödy und Werner Schwab und ich. Die beiden waren Künstlernaturen, beide hegten Unbehagen gegen gutbürgerliches und kleinbürgerliches Leben. Durch die Kunst hinterfragt man ja die Realität, in der man lebt, und für mich war das damals, als wenn ich ein Tor aufgestoßen hätte in eine neue Ebene, in eine neue Umgebung, eine neue Welt."

Vor dem Tor, das sich dem 1954 im steirischen Bruck an der Mur geborenen Erwin Wurm öffnete, lag der Weg in eine Welt der jugendlichen Rebellion und Reflexion, der Weg zur Literatur, Philosophie und Kunst. Hinter sich ließ Wurm den Mief einer hierarchischen und bornierten Welt.

Unterdrückung in der Jugend

"Die Lehrer in meiner Schule haben mit dem Klassenbuch um sich geschlagen, Schlüsselbunde sind durch den Klassenraum geflogen, und mein Mathematiklehrer hat mich einmal über den Tisch gelegt und mit dem Holzzirkel verdroschen. Das war ein humanistisches Gymnasium. Es war restriktiv, rigid und wüst."

Werner Schwab war damals ein junger Hüne mit feuerrotem Haar bis zur Hüfte und bereits in jungen Jahren verbal sehr beschlagen, erzählt Erwin Wurm:

"Er hat mit 19 schon behauptet, er wird den Literaturnobelpreis bekommen. Und er hat sein kreatives Potenzial fast ausschließlich durch die Aggression geschöpft. Seine Mutter war Reinigungsfrau, sein Vater Alkoholiker - und in diesem Zusammenhang hat er alles Kleinbürgerliche abgrundtief verabscheut und gehasst. Wir aber haben uns philosophisch gebildet, Samuel Beckett, Jean Genet und Thomas Bernhard gelesen, diskutiert und ins Leben hereingeholt."

Revoluzzer Schwab

Nach einer Odyssee durch eine Reihe von Ausbildungsstätten, sowie ersten künstlerischen Aktionen in der von Janos Erdödy gegründeten Grazer Avantgarde-Galerie "Cool Tour", wurde Werner Schwab an der Wiener Akademie der Bildenden Künste aufgenommen und begann seine Ablehnung herkömmlicher Werte immer exzessiver auszuleben. So schuf er etwa Skulpturen aus leicht verderblichen "Materialien" und ließ in seiner Wohnung Fleisch verrotten: "Der Gestank war ihm vollkommen wurscht", weiß Wurm.

Die Begegnung mit Werner Schwab, der sich später ganz der Literatur zuwandte, war für Erwin Wurm der Anstoß für seine bis heute gültige Lebenshaltung: Wurm beobachtet seine alltägliche Umgebung genau, er begegnet, so sagt er, besonders den Verantwortungsträgern der Gesellschaft mit Misstrauen, und: er artikuliert dieses Misstrauen bisweilen auch mit den Mitteln der Kunst. Jedoch nicht aggressiv wie einst Schwab, sondern durchaus mit Humor, wie etwa sein auf den Kopf gestelltes Einfamilienhaus auf dem Wiener MUMOK belegte, oder wie es auch die umgedrehten Möbelstücke jetzt im MAK veranschaulichen. Ein weiterer Wesenszug seiner Kunst sei, so Erwin Wurm, "pathosfreier Zynismus".

Ausreizung

"Pathos ist schwer und belastet und zieht nach unten, und das hat etwas Wehleidiges. Ich agiere lieber wie mit Stilettos und setze feine. abgesetzte Stiche, die sitzen besser und ziehen nicht so hinunter. Es ist dann eher wie ein Kitzeln, das einen aufjaulen lässt."

Die Begegnung mit Werner Schwab ist für Erwin Wurm bis heute bleibend, in der Realität jedoch war sie nicht von Dauer. Das anarchistische Wesen Schwabs hat sowohl die Freundschaft als auch den Künstler selbst zerstört.

Als Rache Biederkeit

"Mit dem Werner Schwab hat es einen Bruch gegeben, denn er war nicht nur in seiner Kunst, er war auch als Person aggressiv, er hat auch einen Hang zur Handgreiflichkeit gehabt. Und das war mir zuviel, es kam zum Bruch. Es gibt übrigens einen ganz biederen Landschaftsmaler in einem seiner Stücke, der heißt Wurm, das bin ich. Das war wohl so etwas wie ein Nachkicken des Werner Schwab in dieser unserer Geschichte."

Service

"Schöner Wohnen", Erwin Wurm, MAK, 22. März bis 4. September 2011,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (20 Prozent).

MAK