Staatsbesuch in Wien

"Brückenbauer" Abdullah Gül

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül kommt in Begleitung seiner Ehefrau Hayrünnisa zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Österreich. Erste Gesprächspartner Güls sind Bundespräsident Fischer und Nationalratspräsidentin Prammer. In der Türkei gilt Gül als Mann des Ausgleichs. Doch seine Macht schwindet.

Mittagsjournal, 02.05.2011

Christian Schüller

"Kopftuch-Wirbel" zur Bestellung

Abdullah Güls Aufstieg zum türkischen Präsidenten brachte das Land in Aufruhr. In Istanbul, Ankara und Izmir gingen vor vier Jahren rund eine Million Menschen auf die Straße. Sie wollten verhindern, dass neben dem Regierungschef Erdogan nun auch noch der Staatschef aus dem islamistischen Lager kommt. Die Gegner der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP hatten damals noch einen mächtigen Verbündeten. Denn auch das türkische Militär wollte verhindern, dass ein Politiker, dessen Frau demonstrativ das Kopftuch trägt, an die Spitze des Staates kommt.

Einschüchterungsversuch gescheitert

Armeechef Büyükanit hatte damit gedroht, dass die Armee die Prinzipien des weltlichen Staates verteidigen würden. Um ihre Haltung noch deutlicher zu machen, stellten die Militärs eine Warnung ins Internet - was man in der Türkei den ersten postmodernen Putsch genannt hat. Doch Erdogans islamisch-konservative Partei ließ sich nicht einschüchtern. Mit ihrer deutlichen Mehrheit im Parlament wählte sie den ehemaligen Außenminister zum Staatspräsidenten.

Mann des Ausgleichs

Seither hat sich in der Türkei vieles verändert. Das Militär ist deutlich schwächer geworden. Von einem Putsch ist keine Rede mehr. Denn ein Militärregime wünschen sich nicht einmal die Gegner der Islamisten zurück, und seit in Washington nicht mehr George Bush sondern Barack Obama regiert, können die Generäle auch von dort keine Unterstützung erwarten. Und Abdullah Gül, der einst so umstritten war, gilt jetzt als Mann des Ausgleichs. Viel deutlicher als sein langjähriger Weggefährte, der Regierungschef Erdogan, hält Gül an seinem Ziel fest – die Türkei in die Europäische Union zu bringen: "Wir sind eine Brücke zwischen Ost und West", ist einer der Lieblingssätze des studierten Ökonomen, der in London gelebt hat und fließend Englisch spricht.

Islamistisches Netzwerk

Während Erdogan auf Kritik an Menschenrechtsverletzungen gereizt reagiert und seine Gegner gerne abkanzelt, bemüht sich Gül darum, mit allen im Gespräch zu bleiben. Dabei liegen die beiden Politiker inhaltlich nicht so weit auseinander. Beide arbeiten daran, die Türkei technisch und wirtschaftlich zu modernisieren und gleichzeitig eine konservative Lebensweise zu fördern. Und beide sorgen auf ihre Weise dafür, dass die islamistischen Netzwerke in der Verwaltung und in der Wirtschaft immer dichter werden. Dass diese Entwicklung bei vielen liberal denkenden Türken Ängste auslöst, dafür zeigt Abdullah Gül mehr Verständnis als sein angriffiger Weggefährte Erdogan.

Ablöse durch Erdogan?

Aber Güls Macht ist im Schwinden. Nach den Parlamentswahlen im Juni will Parteichef und Ministerpräsident Erdogan eine neue Verfassung durchsetzen, die nach französischem Vorbild auf einen starken Staatspräsidenten zugeschnitten ist. Und dieser starke Präsident kann wohl nur Erdogan heißen. Welche Rolle dann dem weltgewandten Abdullah Gül bleiben wird, ist ungewiss.