Abhörprotokolle von deutschen Kriegsgefangenen
Soldaten
Im Herbst 2001 stößt der deutsche Historiker Sönke Neitzel im britischen Nationalarchiv auf ein brisantes Aktenbündel: Es handelt sich um Abhör-Protokolle, die das britische Militär während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Kriegsgefangenen angefertigt hat. Zehntausende von Seiten.
8. April 2017, 21:58
Die Landser wussten nicht, dass ihre Gespräche mitgeschnitten wurden, umso ungenierter, ungeschminkter unterhielten sie sich über ihre Erlebnisse im Krieg.
Zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer und einem kleinen Forscherteam hat Neitzel die Abhörprotokolle in den letzten Jahren ausgewertet. Herausgekommen ist ein erschütterndes Dokument zur Mentalitätsgeschichte der deutschen Wehrmacht.
Eine brutalisierte Generation
Sollte man sich noch Illusionen über die angebliche "Sauberkeit der Wehrmacht" gemacht haben: Nach der Lektüre dieses Buchs muss man sie ein für alle Mal revidieren. Die von Neitzel und Welzer gesammelten Protokolle zeigen eines ganz deutlich: Hier führte eine durch und durch brutalisierte Generation Krieg, eine Generation, die Gewalt in der Regel schon in frühester Kindheit erfahren hat, im Elternhaus, in der Schule, im Sportverein, in der Hitlerjugend, überall.
Das Töten war für die deutschen Soldaten - nach kurzer Eingewöhnung in die Dehumanisierungsmaschinerie des Krieges - alltägliche Routine, von den Angehörigen diverser Sondereinheiten wie SS oder SD ganz zu schweigen. Die Übergänge von militärischem Handwerk zum Kriegsverbrechen werden fließend. Im Gespräch mit einem Kameraden namens Bender etwa erinnert sich der Obergefreite Sommer an einen ehemaligen Befehlshaber:
Zitat
Sommer: "Auch in Italien, in jedem Ort, wo wir hinkamen, sagte der Oberleutnant immer: "Erst mal ein paar umlegen!" Ich kann ja nun auch Italienisch, hatte nun immer die besonderen Aufgaben. Da sagte er: "Also, zwanzig Mann umlegen, dass wir erst mal Ruhe haben hier, dass die nicht auf dumme Gedanken kommen. Bei der geringsten Bockigkeit kommen noch fünfzig dazu."
Bender: Nach welchem Gesichtspunkt hat er die Leute ausgesucht? Die hat er so wahllos rausgegriffen oder wie?
Sommer: Ja, ja. Einfach so. So nach dem Motto: "He, kommen Sie mal her." Dann alle auf den Markt raufgetrieben, und dann kam einer mit drei MGs - rrr - rum - dann lagen sie alle da."
Skrupelloses Abknallen
Kaum einer der deutschen Soldaten scheint sich Gedanken über die Rechtmäßigkeit solcher Aktionen gemacht zu haben, von Empathie oder Mitleid für die Opfer ganz zu schweigen. Viele entwickeln sogar so etwas wie sportlichen Ehrgeiz beim skrupellosen Abknallen der Feinde. Das Töten gegnerischer Zivilisten bereitet ihnen, heute würde man sagen: ego-shooter-artige Lustgefühle. Ein Pilot namens Greim blickt auf seine Erfahrungen während des Luftkriegs über England zurück.
Zitat
Greim: "Das erste Mal sind wir noch vorbeigeflogen, dann haben wir noch einmal Angriff gemacht und haben reingehalten. Mein lieber Freund, das hat Spaß gemacht!"
Massenmord als Spaß - das klingt auch in den prahlerischen Erzählungen eines Luftwaffenpiloten namens Pohl mit. Im April 1940 - die Deutschen wähnen sich noch als strahlende Kriegsgewinner - wird Pilot Pohl von einem Kameraden in der Gefangenschaft über seine Aktivitäten als Tiefflieger während des Polenfeldzugs befragt.
Zitat
Meyer: "Wie reagieren die Menschen darauf, wenn sie so vom Flugzeug aus beschossen werden?"
Pohl: "Sie werden verrückt... Rattattata: Bums, da lagen sie! An sich bestialisch. Richtig so auf die Fresse, die kriegten die Schüsse ins Kreuz und liefen wie wahnsinnig, so Zickzack, in irgendwelche Richtungen. So drei Schuss Brandmunition, wenn sie die im Kreuz hatten, Hände hoch, bums, da lagen sie auf dem Gesicht. Dann habe ich weiter geschossen."
Vergewaltigung als Unterhaltung
Die Abhörprotokolle bilden sozusagen in Echtzeit ab, wie die Soldaten den Krieg sahen und wie sie ihn interpretierten. Gerade aus dem Umstand, dass die Landser nicht wussten, wie der Krieg ausgehen und dass das Dritte Reich untergehen würde, gewinnen diese Erzählungen ihre Authentizität.
Zitat
Sommer: "Als ich in Charkow war, war alles bis auf die Innenstadt zerstört. Eine herrliche Stadt, eine herrliche Erinnerung. Alle Leute sprachen etwas Deutsch - in der Schule gelernt. Auch in Taganrog - herrliche Kinos und wundervolle Strandcafés. (...) Dort, wo Don und Donetz zusammenfließen, da war ich überall. Schön ist die Landschaft - im LKW war ich überall. Da sah man nichts als Frauen, die Pflichtarbeitsdienst machten."
Fausst: "Ach, du Scheiße!"
Sommer: Mordsschöne Mädels - da sind wir vorbeigefahren, haben sie einfach in den PKW hereingerissen, haben sie flachgelegt und dann wieder rausgeschmissen. Mensch, was haben die geflucht!"
Vergewaltigung als Reiseunterhaltung, als anekdotischer Konversationsstoff für langweilige Kriegsgefangenen-Nachmittage - aus heutiger Perspektive nur schwer erträglich.
Der von Sönke Neitzel und Harald Welzer herausgegebene Band belegt auch deutlich, dass viele, wenn nicht die meisten Angehörigen des deutschen Militärs vom Völkermord an den Juden oft sogar en detail gewusst haben.
SS-Oberscharführer Fritz Swoboda unterhält sich mit einem Oberleutnant über Massen-Exekutionen in der Tschechoslowakei, an denen er beteiligt war.
Zitat
Swoboda: "Da waren doch Erschießungen am laufenden Band, da gab es die zwölf Mark Zulage, 120 Kronen am Tag für die Erschießungskommandos. Da haben wir nichts anderes gemacht, also die Gruppen von zwölf Mann haben jeweils sechs Mann geführt und dann umgelegt. Da habe ich vielleicht 14 Tage nichts anderes gemacht. Und da haben wir doppelte Verpflegung gekriegt, weil das doch ungeheuer die Nerven kostet. (...) Frauen haben wir auch erschossen, die Frauen waren besser wie die Männer. Männer haben wir viele gesehen, auch Juden, die gewimmert haben im letzten Augenblick. (...) Aber die Frauen... Da hat es welche gegeben, die bei dem Weiber-Erschießen schwach geworden sind."
Niemand ist gefeit
Am Ende ihres Buches vergleichen Sönke Neitzel und Harald Welzer die von Deutschen und Österreichern verursachten Schrecknisse des Zweiten Weltkriegs mit dem, was Jahrzehnte später in Vietnam, im Irak und in Ruanda passiert ist. Ihr Resümee:
Zitat
Gewalt wird, wenn die kulturellen und sozialen Situationen es als sinnvoll erscheinen lassen, von buchstäblich allen Personengruppen angewandt: von Männern und Frauen, Gebildeten und Ungebildeten, Katholiken und Protestanten und Muslimen. Gewalt auszuüben ist eine konstruktive soziale Handlung - der Täter oder die Täterin erreichen damit Ziele. (...) Menschliche Überlebensgemeinschaften sind immer auch Vernichtungsgemeinschaften. Das Vertrauen der Moderne in ihre Gewaltferne ist illusionär. Menschen töten aus den verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil das ihre Aufgabe ist.
Was immer sich die Beteiligten auch einbilden mögen, so etwas wie einen sauberen Krieg gibt es nicht. Und der Zweite Weltkrieg war natürlich erst recht keiner. Sönke Neitzel und Harald Welzer haben ein bedrückendes Buch geschrieben.
Service
Sönke Neitzel und Harald Welzer, "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben", S. Fischer
S. Fischer - Soldaten