Roman von Yannick Haenel

Das Schweigen des Jan Karski

Yannick Haenel spürt dem polnischen Offizier Jan Karski literarisch nach in einem Roman, der bei Kritikern nicht ganz umsonst einigermaßen umstritten ist. "Das Schweigen des Jan Karski" heißt das Buch, in dem Haenel sich der Person Karski anzunähern versucht und dazu eine Dreiteilung vornimmt.

So sieht der französische Autor Yannick Haenel den polnischen Offizier und Kurier des Widerstands Jan Karski.

Das Grauen im Warschauer Ghetto

Im ersten Teil des Buches erzählt er von einem Interview, das der Regisseur Claude Lanzmann 1978 für seine Dokumentation "Shoah" mit Karski führte. Für dieses Interview brach der Pole sein Schweigen über die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg, er sprach darüber, wie er ins Warschauer Ghetto eingeschleust wurde und das Grauen dort mit eigenen Augen sah. In seiner Beschreibung dieses Gesprächs versucht Yannick Haenel, sich in Jan Karskis Innenleben einzufühlen und so entsteht eine merkwürdige Melange aus Historie und Literatur.

Karskis "Bericht an die Welt"

Der zweite Teil des Buches ist so etwas wie eine Nacherzählung: 1944 hat Karski seine Erinnerungen aufgeschrieben und diesen "Bericht an die Welt" in den USA veröffentlicht. An diesem Bericht arbeitet sich Haenel entlang, er erzählt, wie Karski kurz nach Kriegsausbruch in sowjetische Gefangenschaft gerät und mit Mut und Glück aus dem Lager fliehen kann, wie er der polnischen Heimatarmee beitritt und als Kurier zwischen der Exilregierung in London und der Führung in Polen fungiert, wie er Nachrichten quer durch Europa befördert und jedes Mal befürchten muss, in die Hände der Gestapo zu fallen - und wie er darunter leidet, dass die Welt vor den Gräueltaten der Nazis in Polen vielfach die Augen verschließt.

Dabei macht Haenel kein Geheimnis daraus, dass er Karskis Bericht als Vorbild genommen hat und das lässt den Text mitunter mehr wie eine Rezension als wie einen Roman erscheinen.

All das erzählt Haenel flüssig, eingängig und stilistisch sauber, aber im Grunde nicht wie ein Romancier. Er gibt sich als Chronist, dem es nicht um Charaktere oder Szenen, sondern um den Verlauf der Ereignisse geht, und nur in manchen Passagen schimmert der Romanautor durch, etwa wenn er Karski im sowjetischen Gefangenenlager zu der, wie er schreibt, "schwindelerregenden Erkenntnis" gelangen lässt, dass das Böse keinen Grund hat.

Fast eine Nacherzählung

Meist jedoch beschränkt sich Haenel darauf, die Geschehnisse schlicht nachzuerzählen. Beim Versuch, einen Mikrofilm durch die Slowakei nach Ungarn zu schmuggeln, wird Karski von der Gestapo verhaftet, man unterzieht ihn unzähligen Verhören, er wird geschlagen und gedemütigt und fasst einen Entschluss:

Der Selbstmordversuch misslingt, Karski wird ins Krankenhaus gebracht und kann von dort mithilfe seiner Kameraden fliehen. Man gibt ihm eine neue Identität und er setzt seine Arbeit als Informant fort. Auch hier hält sich Yannick Haenel eng an Karskis Beschreibungen und bleibt als Autor im Hintergrund.

Begegnung mit Roosevelt

Romanhafter wird er erst im dritten Teil des Buches, in dem er Karski selbst erzählen lässt, von seinem Besuch beim amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der sich von Karski über das Ausmaß des Völkermords informieren lassen möchte. Aber Haenels Roosevelt ist ein gelangweilter Zuhörer, den die Beine seiner Sekretärin mehr interessieren als das, was Karski zu erzählen hat. Hier verlässt Haenel die historischen Pfade und erfindet seinen eigenen Jan Karski.

Diese Anklage zieht sich durch den gesamten dritten Teil des Buches und es ist fraglich, ob Haenel Jan Karski damit einen Gefallen getan hat. Sein Karski ist voll Zorn auf die Welt, der er vorwirft, nichts gegen die Massenmorde der Nazis in Polen unternommen zu haben. Ein legitimer Standpunkt, aber in der endlosen Wiederholung dieser Anklage wird Karski zu einem verbitterten und larmoyanten alten Mann, in dessen Wehklagen literarisch gelungene Sätze unterzugehen drohen.

Fast ein Held

Wäre Jan Karski selbst mit Haenels Buch einverstanden? Fragen kann man ihn nicht mehr; er starb im Jahr 2000. Seine Erinnerungen jedoch haben überlebt, sein "Bericht an die Welt" ist gerade erst auf Deutsch erschienen. Und so bleibt offen, ob es nötig ist, Haenels Buch zu lesen, wenn man doch Jan Karski direkt lesen kann - eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss.

Service

Yannick Haenel, "Das Schweigen des Jan Karski", Rowohlt Verlag

Rowohlt - Das Schweigen des Jan Karski