Festival der Regionen steigt um

Attnang-Puchheim: Bitte aussteigen!

Das diesjährige Festival der Regionen erklärt die klassische Eisenbahner- und Umsteigestadt Attnang-Puchheim zehn Tage lang zum Kulturdistrikt und feiert ein großes Fest. Natürlich auch am Bahnhof, der seit ein paar Monaten umgebaut wird.

"Willkommen in Attnang-Puchheim", frohlockt Chris Lohner. Der Zug rattert. "Bin ein alteingesessener Attnanger", sagt ein Mann mit Hut und Gamsbart, "ein Verfechter der Stadt!" Er hebt den Hut und grüßt nach rechts. Er ist der Fleischhauer des Ortes, jetzt im Ruhestand. "Ja!", brummt er. "Und überhaupt, Attnang verkauft sich unterm Wert. Immer heißt's: Ich kenne Attnang-Puchheim vom Umsteigen. Hier kann man auch aussteigen!" "Achtung!", warnt Chris Lohners Stimme auf dem Bahnhof: "Zug fährt durch!"

"Gemischte" Prozession

Michael Zinganel und Michael Hieslmair, Künstler und Kulturwissenschaftler - Hieslmair ist sogar Oberösterreicher, aufgewachsen im nahen Windischgarsten -, sind erst hier ausgestiegen, als sie begannen, für ihr Festivalprojekt zu arbeiten. Sie reisten an, sahen auf das klägliche Häufchen abgestellter Züge und die letzten ockerfarbenen Bahnhofshäuschen, die noch nicht abgerissen sind, und staunten nicht wenig, wie viele Kirchen und Kapellen, Marterln und Kreuze der Eisenbahner-Ort birgt. Und erst recht die wuchtige, im späten 19. Jahrhundert gebaute Wallfahrtsbasilika, das Wahrzeichen der Stadt!

"Don Camillo und Peppone" nennen sie eine entworfene, "gemischte" Prozession, die während des Festivals, auch gleich am Eröffnungstag, durch den Ort führen und aufmerksam machen wird, wie eng Gemeinschaften wie Kirche und (Eisenbahner-)Gewerkschaft miteinander verzahnt sind. Wer spielt denn an Feiertagen und kirchlichen Festen in Attnang-Puchheim immer auf? Klar, die Eisenbahnmusikkapelle, in Ausgehuniform. Auf dem Prozessionswagen, den die Künstler vorbereiten - der gehöre sich - steht ein Schauspieler vom "Theater am Bahnhof" in Graz. Und schon findet sich wieder eine Gemeinschaft zusammen, obwohl es immer heiße, so die Künstler, Gemeinschaften seien so brüchig.

Vor langer Zeit

Im gelben Gasthaus "Post", gegenüber dem rosa Rathaus, sitzt ein Pärchen, das könnte auch ein wenig Don Camillo und Peppone sein; höchstwahrscheinlich ist es der eine von ihnen sogar in einer Person: der pensionierte Eisenbahner und Kirchenchorleiter Hans Schifflhuber. Ihm zur Seite: Helmut Böhm, pensionierter Hauptschuldirektor und Hobbymesner. Freunde seit Kindertagen, nippen sie an einem Bitter Lemon und einem Glaserl Wein und erinnern sich an die Bedeutung der Eisenbahn, als "der Herr Lokführer" noch wer war und "die Frau Fahrdienstleitersgattin" schnell einmal nach Wien fuhr mit dem Zug, "um ein Taschentuch", wie Hans Schifflhuber ätzt. "Ja, ja", seufzt Helmut Böhm, "wäre die Eisenbahn nicht so wichtig gewesen, wäre Attnang-Puchheim, Verkehrsknotenpunkt seit jeher, nicht bombardiert worden und schon gar nicht in diesem Ausmaß."

Am 21. April 1945, am "Tag der Tränen" fielen 2.339 Bomben auf das damalige Dorf - Helmut Böhm, der "Ortshistoriker" weiß es aus amerikanischen Dokumenten - und tötete mehr als 700 Menschen, ein Sechstel der Einwohner zu dieser Zeit. Das Trauma verarbeitet der in Wien lebende und viel mit dem Zug reisende Attnanger Musiker Franz Fellner zur "Eisenbahnsymphonie". Beim Festival wird seine Komposition an zwei Abenden aufgeführt - im großen Rundlokschuppen auf dem Bahnhof, mit rund 150 einheimischen und auswärtigen Künstlern. Willi Resetarits rezitiert historische Texte. "Im letzten Abschnitt der Symphonie", erklärt Franz Fellner, "spielen die Musiker auf der sich drehenden Drehscheibe im Rundlokschuppen, um zu warnen: Die Geschichte kann sich jederzeit wiederholen."

Umsteigen - auf fremdes Essen

2011 hat Attnang-Puchheim knapp 9.000 Einwohner. Jeder sechste von ihnen ist zugewandert oder stammt aus einer zugewanderten Familie. Deshalb beschäftigen sich einige der 40 Festivalprojekte auch mit dem Themenkomplex "Umsteigen" auf Anderes, Fremdes. Während der zehn Festtage werden sich etwa Attnanger Jugendliche um Roma-Jugendliche aus Rumänien kümmern; es wird diskutiert und Disco gemacht, Fußballspiele sind geplant, Konzerte, Grillabende. Nach langer Pause wird - ein anderes Projekt - das gute alte Bahnhofslokal "Restaurant Anni" wieder belebt. Einheimische und zugewanderte Familien kochen auf, in einem Waggon: oberösterreichisch, algerisch, kambodschanisch, bosnisch und kroatisch. Für das kroatische Essen bürgt der Schichtarbeiter und gelernte Koch "Zlady", Zlatko Evic: "Ich erwarte mir, dass die Leute einander kennen lernen beim gemeinsamen Kochen, und ich habe es schon x-mal erlebt, dass dabei Freundschaften entstehen." Zlady gehört zu Attnang-Puchheim wie die Kirchen und die Eisenbahn...

"Attnang-Puchheim" ruft Chris Lohner wieder: "Willkommen in Attnang-Puchheim".

service

Festival der Regionen, 22. Juni bis 3. Juli 2011,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen die Tickets ermäßigt (20 Prozent).

Festival der Regionen