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Bürger machen Budget

Wie würden Sparpakete wohl aussehen, wenn sie nicht von Politikern geschnürt würden, sondern von den Steuerzahlern? Mittlerweile haben viele Gemeinden auf der ganzen Welt partizipative Bürgerhaushalte. Seinen Ausgangspunkt nahm die Idee in Brasilien.

Vom Süden lernen

Demokratiepolitische Nachhilfe einmal andersrum: Der globale Norden lernt von Entwicklungs- und Schwellenländern. Seit etwa 20 Jahren lässt die brasilianische Stadt Porto Alegre ihre Bürger und Bürgerinnen bei der Budgetgestaltung mitreden. Vor ein paar Jahren sind die partizipativen Bürgerhaushalte auch in Europa angekommen. Sie unterscheiden sich aber in zwei wesentlichen Punkten vom brasilianischen Vorbild. Erstens in punkto Verbindlichkeit: In Brasilien muss der Gemeinderat nämlich auch umsetzen, was die Bürger und Bürgerinnen beschließen, in Europa sind das nur mehr oder weniger unverbindliche Empfehlungen.

Zweiter Unterschied: die Bedeutung des Internets. Bei den europäischen und US-amerikanischen Bürgerhaushalten hat das Internet eine große Bedeutung, weil man viel ressourcenschonender viel mehr Leute einbinden kann. So kann man auf einen Großteil von realen Events und Versammlungen verzichten. "Evaluierungen einiger Bürgerhaushalte haben gezeigt, dass das Interesse an Präsenzveranstaltungen bei den Bürgern nicht besonders groß ist", erklärt Kirsten Neubauer, Expertin für E-Partizipation von der Beratungsfirma neu & kühn.

Im Kampf gegen die Politikverdrossenheit

Genau diese Erfahrung hat man auch in der Stadt Freiburg gemacht. Die Freiburger Bürger diskutierten lieber im Cyberspace, als auf realen Versammlungen, sagt Edith Lamersdorf, Sprecherin der Stadtverwaltung. Zweimal hat Freiburg bisher das Experiment Beteiligungshaushalt gewagt. Einmal aufwändig pompös mit vielen Veranstaltungen, einmal ganz schlicht mit Online-Diskussionsforen. Das Ergebnis war beide Male gleich gut, sagt Lamersdorf. Und der Freiburger Gemeinderat habe einige Ideen der Bürger dann auch tatsächlich umgesetzt.

"Wir haben in Freiburg dieselben Probleme, wie ganz Westeuropa: nämlich schwindende Beteiligung der Bürger am politischen Leben und daran hat keiner Interesse", so Lamersdorf, "daher müssen wir nach neuen Formen suchen, wie man die Bürger wieder mehr für das interessieren kann, was in der Stadt passiert. Allerdings ohne natürlich die Entscheidungsmöglichkeiten des Gemeinderates zu beeinflussen. Das könnten wir auch gar nicht, denn die sind in der Gemeindeordnung festgelegt."

Die üblichen Verdächtigen?

Doch Bürgerhaushalte haben nicht nur Freunde. Stephan Eisel, langjähriger CDU-Politiker in Bonn ist zum Beispiel keiner. Er leitet bei der Konrad Adenauer-Stiftung das Projekt "Internet und Demokratie". Sein gleichnamiges Buch ist soeben auf den Markt gekommen. Die tatsächliche Beteiligung sei gering, ältere Menschen ohne Internetzugang würden von vornherein ausgeschlossen, Abstimmungen könnten leicht manipuliert werden und im übrigen ließen sich Politikverdrossene dadurch auch nicht aktivieren, kritisiert er. Das Internet sei nichts anderes als eine neue Spielwiese für jene Gruppen, die ohnehin schon politisch aktiv sind und sich in Parteien, Vereinen oder Bürgerinitiativen engagieren.

Tatsächlich war es auch Freiburg so, dass sich am intensivsten mehr oder weniger organisierte Interessensgruppen eingebracht haben: Elternvertreter, die die Renovierung einer baufälligen Schule forderten, Jugendliche, die einen Skatepark wollten und die Kulturszene rund um den Freiburger Jazzchor. Doch sie sieht das durchaus positiv. Denn bisher hätten diese Gruppen nichts mit der Realpolitik am Hut gehabt. Durch den Beteiligungshaushalt sei es zu einer gegenseitigen Annährung gekommen: Die Bürgerinitiativen machten die Erfahrung, endlich gehört zu werden und die Gemeinderäte hätten bemerkt, was für eine aktive Kulturszene es in der Stadt gibt.

Langer Atem notwendig

Im Endeffekt beschloss der Freiburger Gemeinderat – entgegen ursprünglicher Pläne - besagte Schule zu renovieren und die Kulturförderung für den Jazzchor zu erhöhen. Edith Lamersdorf hofft, dass das Beispiel Schule macht und sich beim nächsten Mal noch viel mehr Gruppen für ihre Anliegen engagieren. Bürgerbeteiligung müsse langsam wachsen, man brauche eben einen langen Atem: "Unser Fazit war, dass wir es für ein sehr gutes Instrument halten, um politische Prozesse transparent zu machen und um aktive Bürger der Stadt Freiburg an die Politik heranzuführen."

Mittlerweile hat Deutschland mehr als 100 partizipative Bürgerhaushalte. Auch andere Städte in Europa, Südamerika, Afrika und Asien reden mit ihren Bürgern übers Budget - sogar im sonst gar nicht so demokratiefreundlichen China. Wo es weit und breit noch nichts dergleichen gibt: Österreich.

Service

Bürgerhaushalt - Infoseite der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung
Neu & Kühn - Online Bürger Projekte
Beteiligungshaushalt Freiburg
Internet und Demokratie - Blog zum Buch von Stephan Eisel
Stephan Eisel

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