Britisches Boulevardblatt knackt Mailbox von vermisstem Mädchen

Grenzenlose Gier nach Sensationen

Großbritannien durchlebt derzeit den größten Medienskandal, den es je auf der Insel gegeben hat. Reporter des Boulevardblatts "News of the World" sollen nicht nur jahrelang Telefongespräche von Prominenten abgehört, sondern sich auch in die Handy-Mailbox eines vermissten Mädchens gehackt haben.

Mittagsjournal, 6.7.2011

Bettina Madlener aus London

Unseriöse Recherchemethoden

Einer der größten Abhörskandale Großbritanniens hat einen tragischen Beigeschmack bekommen. Seit Jahren stehen Journalisten des Massenblatts „News of the World“ unter Verdacht, die Handygespräche von Schauspielern, Mitgliedern des Königshauses und den Opfern der Londoner Terroranschläge vor sechs Jahren mitgehört zu haben. Wie jetzt bekannt wurde, machte die Zeitung auch nicht vor dem Mobiltelefon eines vermissten und später tot aufgefundenen 13-jährigen Mädchens halt.

Nachrichten gelöscht: Hoffnung für Familie

Mit Hilfe von Hackern und Privatdetektiven sollen die Reporter des Boulevardblattes sogar Nachrichten auf der vollen Mailbox gelöscht haben, um Platz für neue zu machen und so an mehr Informationen zu kommen. Damit waren bei Familie und Freunden der Vermissten falsche Hoffnungen geweckt worden, das Mädchen sei noch am Leben und habe die Nachrichten selber gelöscht. Außerdem könnten die Ermittlungen der Polizei dadurch gestört worden sein.

Chefredakteur: "Nichts davon gewusst"

Der damalige „News of the World“-Chefredakteur Andy Coulson beteuerte immer wieder, nichts von Abhörpraktiken gewusst zu haben. Er trat aber Anfang des Jahres als Pressechef von Premierminister David Cameron zurück.

Ermittlungsergebnisse gegen Geld

Auch die britische Polizei sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Polizisten sollen Informationen in Mordfällen an das mächtige Boulevardblatt, das im Besitz von Medienmogul Rupert Murdoch ist, verkauft haben. Diesen Schluss lassen öffentlich gewordene E-Mails zu, in denen Coulson Zahlungen an Polizisten genehmigt hatte.

"Harte Konsequenzen, wenn Vorwürfe wahr sind"

Er und seine damalige Chefin Rebekha Brooks sagten vor einer parlamentarischen Kommission aus, sich an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten zu haben. Brooks ist mittlerweile Vorstandschefin von Rupert Murdochs Zeitungsverlag „News International“, zu dem auch die renommierte „Times“ gehört. Brooks ist mit britischen Spitzenpolitikern vom Premierminister abwärts befreundet.

Es gebe keinen Grund für Brooks zurückzutreten, heißt es von „News International“. Man werde aber alles daran setzen, diesen Vorwürfen nachzugehen. Sollten sie wahr sein, werde es harte Konsequenzen geben, so der Mediensprecher von „News International“, Simon Greenberg.

David Cameron unter Druck

Premierminister David Cameron steht unter Handlungsdruck. Ihm wird vorgeworfen, Angst vor Medientycoon Rupert Murdoch zu haben. Cameron kündigt eine unabhängige, öffentliche Untersuchung an, sobald die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind. Am Nachmittag findet eine dreistündige Sonderdebatte im Parlament statt.

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