Stéphane Hessel legt nach
Engagiert Euch!
"Empört Euch" lautete der Kampfruf, mit dem der französische KZ-Überlebende und Mitautor der Menschenrechtsdeklaration Stephane Hessel im letzten Jahr einen Bestseller landete. Damit aus Empörung auch Handeln wird, legt Stephane Hessel in einem neuen Text nach: "Engagez-vous!", "Engagiert Euch!" heißen die Interviewnotizen.
23. November 2023, 15:32
Nicht mehr als ein paar Seiten ist es lang, das Manifest, mit dem Stephane Hessel letztes Jahr vor allem die Jugend begeisterte. "Indignez-vous", "Empört euch", forderte der ehemalige Widerstandskämpfer angesichts der globalen Missstände wie sozialer Ungerechtigkeit, Finanzkrise und Umweltzerstörung.
Auch der Nachfolge-Band "Engagez-vous" ist nur ein paar Seiten lang. Das dünne Büchlein beinhaltet - neben der UN-Menschenrechtscharta - nicht mehr als ein Interview: ein Gespräch Hessels mit dem jungen Journalisten und Öko-Aktivisten Gilles Vanderpooten.
Sich zur Wehr setzen
Galt "Empört euch" als Impuls, die innere Einstellung zu ändern, so fordert Hessel in seinem Nachfolgewerk "Engagiert euch" zu konkreten Taten auf.
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Sich zur Wehr zu setzen, sich aufzulehnen darf natürlich nicht beim Nachdenken oder Benennen aufhören, sondern muss in Aktion münden.
1917 in Berlin als Sohn des deutschen Schriftstellers Franz Hessel geboren, war Stephane Hessels Leben geprägt von der Auseinandersetzung mit scheinbar übermächtigen Gegnern: als Resistance-Kämpfer kam der mittlerweile französische Staatsbürger in Gestapo-Haft, überlebte zwei Konzentrationslager.
"Frankreichs Rebell der Stunde"
Der Kampf für eine bessere Welt wurde Stephane Hessels Lebens-Mission. 1948 gehörte Hessel, als Vertreter Frankreichs, zu den Mitautoren der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, später setzte er sich vehement für die Rechte von Minderheiten ein.
Er sei "Frankreichs Rebell der Stunde", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über den ehemaligen Widerstandskämpfer nach Erscheinen seiner Streitschrift "Empört Euch".
Mit Nachdruck ruft Hessel jetzt - im Nachfolgewerk "Engagiert Euch" - zum friedlichen Widerstand gegen Ungerechtigkeiten in unserer Welt auf, beklagt die Macht des Finanzkapitalismus, prangert die Lage der Menschenrechte an und warnt vor der ökologischen Zerstörung unseres Planeten. Gleichzeitig appelliert er an die Leser: Habt keine Angst, euch für ein hoch gestecktes Ziel einzusetzen! Kommt heraus aus eurer Gleichgültigkeit, mischt euch ein.
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Inwieweit dürfen wir mit einem wirksamen Engagement der Bürger rechnen? "Ohne mich" ist natürlich leichter - also, sich zu sagen: "Ich mag diese politischen Taktierer und Wendehälse nicht", und sich ins Private zurückzuziehen. Diese Haltung findet man in allen Gesellschaften. Zur Zeit der französischen Kollaborationsregierung von Vichy dachte so die Mehrzahl der Franzosen. Auch heute begegnen wir diesem Gegensatz zwischen militanten Pionieren des Widerstandes und der passiven Masse. Ich bin versucht zu sagen, dass höchstens zehn bis 20 Prozent der Menschen sich wirklich bewegen, um etwas Neues zustande zu bringen, und die anderen laufen dann eben mit. Und das ist bereits eine eher optimistische Aussage.
Wir müssen vor allem daran glauben, dass unser persönliches Engagement die Welt verändern kann, sagt Stephane Hessel im Gespräch mit Gilles Vanderpooten.
Kluft zwischen Arm und Reich ist "Skandal"
Der Autor nennt auch konkrete Beispiele, wie sich jeder einzelne für eine bessere Gesellschaft stark machen kann. Etwa, indem er sich persönlich für die Beseitigung von Missständen einsetzt, sich an Protesten beteiligt und lernt, die engen nationalen Interessen zu überwinden.
Für den größten Skandal hält Stephane Hessel die immer tiefer werdende Kluft zwischen armen und reichen Staaten - ein Produkt fehlgeleiteter Entwicklungspolitik.
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Ich bin mehr und mehr überzeugt, dass die armen Länder echte Fortschritte nur erzielen werden, wenn sie vor den kommerziellen Raubrittern der Weltwirtschaft geschützt werden und wenn sie mehr als bisher unabdingbare Entwicklungsgrundlagen erhalten: Dazu gehören allgemeine Schulbildung, Alphabetisierung, eine bessere Gesundheitsversorgung und bodennahe Produktion, also Landwirtschaft, die ihre Eigenversorgung sichert. Mit anderen Worten: wenn ihre Ressourcen nicht im gleichen Maße wie bisher von den bereits reichen Ländern durch subventionierte Importe in großem Stil abgesaugt werden.
Komplexe globale Probleme wie Armut und Finanzkrise verlangen nach ebenso komplexen Strategien, sagt Stephane Hessel. Und dafür sei vor allem internationale Kooperation gefragt, sagt der Ex-Diplomat. Ganz konkret denkt Hessel dabei an die Schaffung eines UN-Rates für wirtschaftliche und soziale Sicherheit - ein Gremium, das als Vorläufer einer Weltregierung fungieren könnte. Nur wenn die ganze Welt an einem Strang ziehe, sei Fortschritt für alle möglich, so Hessel.
Engagement für die Umwelt
Kaum weniger dringlich als der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit sei das Engagement gegen die fortschreitende Umweltverschmutzung.
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Wir empfinden es als beunruhigend und beschämend, dass es unserer Erde nicht mehr gut geht, dass dringend Notwendiges unterlassen wird, dass das Treiben einfach weitergeht. Auch hier lässt sich das Gebot des Widerstandes konkretisieren: als Protest gegen die Umweltzerstörung der großen Ölgesellschaften, gegen den Raubbau an unseren Ressourcen, gegen die Sünder wider das Gebot der Nachhaltigkeit.
Wie der Protest gegen Raubbau und Umweltzerstörung konkret aussehen könnte, darüber lässt uns Hessel im Unklaren. Überhaupt liefert das in Buchform erschienene Interview nur wenig Konkretes. Wer detaillierte Handlungsanweisungen zum zivilen Ungehorsam erwartet, wird enttäuscht. "Engagiert Euch" ist vielmehr eine interessante Gedankensammlung, die zum Nachdenken animiert, nicht mehr und nicht weniger.
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Stéphane Hessel, "Engagiert Euch! Im Gespräch mit Gilles Vanderpooten", aus dem Französischen übersetzt von Michael Kogon, Ullstein Verlag
Ullstein - Engagiert Euch!