Leiden auch volkswirtschaftliches Problem

Jeder Fünfte hat chronische Schmerzen

Mehr als 20 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher leiden unter chronischen Schmerzen. Das bedeutet nicht nur für die Betroffenen einen großen Leidensdruck, sondern stellt auch enorme Anforderungen an die Medizin. Schmerzexperte Wilfried Ilias spricht über Behandlungen und Probleme.

Morgenjournal, 29.7.2011

Martin Haidinger und Andrea Maiwald

Kosten auf dem Prüfstand

Sowohl Methoden als auch Kosten stehen derzeit auf dem Prüfstand, denn in Österreich sind bestimmte Medikamente in der Schmerzbehandlung nicht zugelassen, die in anderen EU-Ländern sehr wohl zum Einsatz kommen.

Jeder fünfte Österreicher leidet unter chronischen Schmerzen von Rücken- bis Tumorschmerzen. Viele Betroffene sind mit den Therapien unzufrieden, drei Viertel von ihnen sind laut einer europäischen Studie ständig auf der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten.

Viele Medikamente nicht zugelassen

Laut Hauptverband werden hierzulande pro Jahr mehr als 126 Millionen Euro für Schmerzbehandlung ausgegeben. Trotzdem sind in Österreich mehrere Medikamente, wie zum Beispiel Lidocain-Pflaster, nicht zugelassen, die in Deutschland und anderen EU-Ländern längst auf den Verschreibungslisten stehen. Im Hauptverband rechtfertigt man diese Zurückhaltung mit dem Hinweis, dass nicht alle neuen Medikamente auch automatisch sinnvoll seien, vor allem bei psychisch bedingten Schmerzen.

Krankenstände und Frühpensionen

Die Ärzteschaft sieht das zum Teil anders, sie ist mit immer mehr unzufriedenen Schmerzpatienten konfrontiert. Abseits des Leidensdrucks der Betroffenen ist das Massenphänomen Schmerz auch ein volkswirtschaftliches Problem und verursacht Krankenstände und Frühpensionierungen. 33 Prozent sind laut Österreichischem Schmerzbericht arbeitsunfähig, 21 Prozent in Frühpension.

Schmerz führt zu Depression

Professor Wilfried Ilias, bis vor kurzem Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft, äußert sich zu den Problemen: "Es ist eine Frage der Ausbildung der Ärzteschaft gewesen. Wir haben in den letzten Jahren extrem gut aufgeholt. Aber es besteht ein gewisses Defizit in der Nachbehandlung, weil wir noch nicht die Strukturen haben." Man werde interdisziplinär geführte Stationen einrichten, wo Neurologen, Neurochirurgen, Anästhäsiologen, aber auch Psychologen mitziehen, denn jeder Schmerzpatient leide automatisch auch unter einer Depression.

Häufig degenerative Erkrankungen

Die häufigsten Schmerzen der Österreicher seien Lendenwirbelsäulenprobleme, so Ilias. Ein weiterer prekärer Bereich sind die großen Gelenke infolge von Degeneration, Übergewicht und Diabetes II – alles Sozialerkrankungen, die mehr an Prophylaxe denken lassen, sagt der Experte.

"Wenn ein Schmerz mehr als drei Monate anhält und auf eine herkömmliche Therapie nicht reagiert, ist er als chronisch einzuschätzen", definiert Ilias. Mehr als drei Viertel der Patienten könne man immerhin so weit behandeln, dass der Schmerz ein zwar noch vorhandener, aber verdrängbarer Zustand sei, so der Schmerzexperte.