Léon Bloys Kriegserinnerungen
Blutschweiß
Ein Buch, das so beginnt, kann kein schlechtes sein: "Das Folgende ist nicht einmal eine Anekdote. Es ist kaum eine Erinnerung, eher eine Art tiefer Impression, die allerdings durch zwanzig Jahre Hundeleben nahezu ausgelöscht worden ist." 46 Jahre ist Léon Bloy alt, als er sich im Herbst 1892 dazu entschließt, seine Erlebnisse im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 niederzuschreiben.
8. April 2017, 21:58
Keine schlechte Idee, denn die nationale Schande ist nach wie nicht vergessen und Bücher, die von dieser Auseinandersetzung handeln, haben im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts Konjunktur. Bloy hofft, mit seinen Erinnerungen endlich reüssieren zu können, und sein ärmliches Leben hinter sich zu lassen. 1846 geboren, geht Bloy 1864 nach Paris. Elf Jahre später veröffentlicht er seine ersten Schriften, 1877 zieht er mit der Prostituierten Anne-Marie Roulé zusammen - die erste von mehreren tragischen Beziehungen.
Léon Bloy ist streng gläubiger Katholik. Zwei Monate nach seiner Geburt erscheint zwei Hirtenkindern im südfranzösischen La Salette die Muttergottes. Bloy wird immer wieder die zeitliche Nähe zu seiner Geburt betonen. Ihm sei Gott in die Wiege gelegt worden, sagt er. In Paris aber hat er wenig Glück. Er erbettelt sich das fürs tägliche Leben notwendige Geld und lebt in ärmlichsten Verhältnissen. 1882 unternimmt er erneut einen Anlauf, in ein Kloster einzutreten, wird aber wieder abgelehnt.
Freischärler im Deutsch-Französischen Krieg
Als Literat steht Bloy alleine da. Mit den Stars seiner Epoche wie Emilie Zola oder Guy de Maupassant verbindet ihn eine tiefe Feindschaft. Der einzige, mit dem er sich versteht, ist Joris-Karl Huysmans, der Autor des Dekadenzromans "A rebours" – "Gegen den Strich". Aber auch mit ihm wird er sich recht bald schon zerstreiten.
"Blutschweiß" nennt Bloy seine Erinnerungen an den Krieg. Bloy, der überall den "Engel der Vernichtung" ausmacht, bezieht sich auf das Blut, das Christus im Garten Gethsemane schwitzte. Für Bloy ist der Deutsch-Französische Krieg ein Ereignis, bei dem sich alle Gewissheiten auflösen. Im Herbst 1870 scheint er für Frankreich endgültig verloren zu sein. Doch der französische Widerstand erlahmt nicht, ganz im Gegenteil. Französische Freischärler kämpfen mit den deutschen Truppen um jedes Haus, um jede Hecke. Solch einer Freischärler-Gruppe schließt sich Léon Bloy 1871 an. Einem "vorgeblichen Elitekorps" wie er sagt, "bei dem auf wundersame Weise bis zum Schluss ein Schein von Zusammenhalt und Disziplin fortbestand." Überall sonst aber lösen sich Zusammenhalt und Disziplin auf.
Zitat
Fahnenflüchtige Sanitäter zusammengepresst mit verzweifelten Kanonieren, die keinen "Donner" mehr hinter sich herzogen, Fernmelder ohne Schuhe und wandernde Reiter ohne Helmbusch und Säbel - sie alle mischten sich, verschmolzen miteinander, schienen ineinander überzugehen. Unglaubliche Umzugskarren von Dörflern - sicherlich nicht der Mühe wert, ausgeraubt zu werden - wurden von erbärmlichen Pferden gezogen, die man mit Schlägen antrieb und für deren Verzehr man keine Zeit mehr gehabt hatte.
Bloys Kriegserinnerungen muten wie der Abstieg in Dantes Hölle an. Alles löst sich auf, Körper werden übereinander gestapelt, Frauen vergewaltigt, Männer erschlagen, Kindern aufgehängt. In diesem Text gibt es keinen Ausweg aus dem Gemetzel.
Authentisch oder erdichtet?
Schon bald nach der Veröffentlichung des Buches wurde gefragt, ob es sich bei Bloys Text um authentische Erinnerungen handle. Ernst Jünger, der - fast möchte man sagen - "natürlich" von Bloy beeinflusst war, meinte, dessen Kriegsabenteuer wären "zum Großteil erdichtet". Das glaubt man sofort, denn das sich eine Geschichte wie jene, die "Am Tisch der Sieger" betitelt ist, wirklich so abspielte, kann bezweifelt werden.
Da wird ein Franziskaner ans Bett einer Sterbenden gebeten, weil sie noch einmal beichten möchte. Ihre Söhne waren zusammen mit ihrem Mann gleich zu Beginn der Besatzung von den Deutschen exekutiert worden, erzählt sie. Dann wurde ihr Haus geplündert, sie von zwanzig Soldaten gefoltert und vergewaltigt und schließlich halb tot auf den Misthaufen geworfen. Die zehnjährige Tochter wurde im Haus eingesperrt und dieses mitsamt dem Mädchen angezündet. Die Frau wankt halb irre vor Schmerz durch das Chaos und wird irgendwann einem Generalmajor der Brigade der hessischen Kavallerie zugeteilt. Sie soll für ihn kochen und sich um seinen verwundeten Sohn kümmern. "Mehr, mehr gute französische Küche", verlangt der Major jeden Tag aufs Neue und die Frau bereitet ihm Kalbshirn mit Salz, Pfeffer, Muskatnuss, Pilzen und kleinen Zwiebeln zu. Er bekommt Schnitzel, gebratene Nieren, Koteletts und am Ende noch ein vermeintliches Kalbsherz aufgetischt. Erst als nichts mehr übrig ist, wird sie dem Generalmajor mitteilen, dass er nun seinen Sohn komplett verspeist hat.
Wohl wegen solcher verwegener Geschichten, die so ganz und gar nicht die Glorie Frankreichs beschreiben, hat "Blutschweiß" Bloy nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Ziel seines Buches sei es, so der Autor, "die reale Präsenz Gottes in den menschlichen Ereignissen" zu zeigen. Aber auf welchen Gott wird hier Bezug genommen? Dieser Text mutet eher an, als wäre Gott schon längst gestorben.
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"Warum bist du so traurig meine Seele, und warum verwirrst du mich?" Als der Feldgeistliche mit diesen Worten die Messe begann, riss eine Kanonenkugel ihm den Kopf ab, den man niemals wiederfand.
Suche nach dem göttlichen Plan
Bei Bloy mutet die Suche nach Gott wie ein nihilistisches Unterfangen an. Und so hätte der Text genauso gut 40 Jahre später geschrieben werden können, als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Wo Bloy im sinnlosen Gemetzel und in der allumfassenden Unordnung noch einen göttlichen Plan sucht - und sei es nur den der Apokalypse -, wird der nächste große Krieg bloß noch Gemetzel ohne Sinn und Zweck sein.
"Blutschweiß" bringt dem katholischen Leidensmann Léon Bloy wenig Glück. Das Buch ist ein Ladenhüter und die Lebensumstände des Autors verschlechtern sich zunehmend. 1895 ist das dunkelste Jahr seines an düstern Jahren nicht armen Lebens. Er vegetiert mit seiner Familie in einem dunklen Hinterhofloch, gepeinigt von Armut und Hunger. Am 26. Jänner 1895 stirbt sein Sohn im Alter von elf Monaten. Am 25. September bringt seine Frau einen zweiten Buben zur Welt. Am 10. Dezember ist auch dieses Kind tot. Aber der gläubige Katholik kämpft weiter, erleuchtet, wie er sagt, von der Heilsbotschaft.
Bloy, der sich in Tradition der biblischen Propheten sah, die vom Ende der Welt kündeten, stirbt 1917. Vor allem im deutschsprachigen Raum ist er bis heute ein Unbekannter. Einer, der von Leuten wie Carl Schmitt oder Ernst Jünger als Geheimtipp gehandelt wurde. Und dessen Wiederentdeckung "Blutschweiß" hoffentlich einleiten wird.
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Léon Bloy, "Blutschweiß", aus dem Französischen übersetzt von Alexander Pschera, Matthes & Seitz Verlag
Matthes & Seitz - Léon Bloy