Roman von Olivier Adam

Gegenwinde

Die Stimme in diesem Roman ist eine, die ich in der Literatur oft vermisse: jene des Vaters. Der männliche Standpunkt wird immer im Rahmen einer Flucht, eines Scheiterns dargestellt - ob es nun Männer sind, die sich bewusst werden, dass sie nicht fähig sind, Kinder zu haben, oder Männer, die sich fragen, ob sie mit der Familie ihre Freiheit verloren haben.

Männer lieben es, sich als Dandy in Szene zu setzen, weit entfernt vom Familienleben. Also hat der französische Autor Olivier Adam einen Vater mit seinen Kindern in den Mittelpunkt seines Romans gestellt: Der Schriftsteller Paul Anderen führt ein normales Familienleben, bis plötzlich seine Frau Sarah verschwindet. Niemand weiß, wo sie ist, ihr Auto wird am Ufer der Seine gefunden, von ihr selbst fehlt jede Spur. Nach Monaten des zermürbenden Wartens beschließt Paul, mit seinen Kindern Clément und Manon in seine Heimatstadt in der Bretagne zu ziehen. Dort hofft Paul, einen neuen Anfang zu finden.

Der Gegenwind des Lebens

Für Olivier Adam, der selbst seit Jahren in der Bretagne lebt, ist die Stadt am Meer weit mehr als nur eine Kulisse. Die windumtoste bretonische Küste spiegelt die Zerrissenheit der kleinen Familie, die ihren Mittelpunkt verloren hat, und nicht umsonst trägt der Roman den Titel "Les vents contraires", zu Deutsch: "Gegenwinde".

"In der Bretagne ist man ständig dem Wind ausgesetzt", sagt der Autor. "Natürlich hat 'Gegenwinde' einen doppelten Sinn. Der Titel bezieht sich auf dramatische Ereignisse, denen man die Stirn bieten muss, gleichzeitig ist der Wind eine Kraft, die dafür sorgt, dass die Welt physisch präsent ist."

Der Isolation entkommen

Nach und nach kann Paul in der Stadt Fuß fassen. Geschrieben hat er seit Jahren nichts mehr, aber sein Bruder Alex, der seit dem Tod der Eltern die familieneigene Fahrschule leitet, verschafft ihm einen Job als Fahrlehrer - obwohl Paul keine entsprechende Ausbildung und noch nicht einmal einen Führerschein hat.

Im Gespräch mit seinen Schülern tastet sich Paul Schritt für Schritt ins Leben zurück, er befasst sich mit ihren Problemen und freundet sich mit ihnen an, etwa mit der jungen Justine, für die der Führerschein eine besondere Art von Freiheit bedeutet, oder mit Elise, die nach dem Tod ihres Mannes versucht, der Isolation zu entkommen. Olivier Adam sieht Paul als so etwas wie sein Double, wenn er auch selbst nie in einer derartigen Situation war:

"Ich habe ihm ungefähr meine Gestalt und meinen Charakter gegeben. Was mich dabei im Verhältnis zu meinem eigenen Leben interessiert hat, ist dieser Reflex: Wenn alles zusammenbricht, sucht man Zuflucht am Ort seiner Kindheit. Obwohl Pauls Eltern tot sind, findet er diese Zuflucht in gewisser Hinsicht dort, wo so etwas wie eine Familie geblieben ist. Es ist, als ob diese Umgebung da wäre, um ihn zu beschützen."

Für die Kinder weiterkämpfen

Gleichzeitig versucht Paul, seinen Kindern Halt zu geben, die an der Situation zu zerbrechen drohen. Clément wird immer verschlossener, Manon leidet unter Panikattacken, in der Schule finden beide nur schwer Anschluss. Paul tut sein Bestes, um den Kindern durch die schwere Zeit zu helfen, mit rührender Fürsorge und Hingabe nimmt er sich ihrer an und genau das war Olivier Adam wichtig:

"Ich habe die Beziehung des Vaters zu seinen Kindern ins Extreme getrieben, indem ich eine Situation geschaffen habe, die zeigt, dass man, wenn man Vater oder Mutter ist, dafür sorgen muss, dass das Leben für die Kinder erträglich wird, auch wenn man selbst eigentlich am Ende ist. Ich finde es sehr schön, dass man sich, sobald man Kinder hat, verpflichtet, stark zu bleiben und zu versuchen, das Leben weiterhin möglich zu machen."

Der "Andere"

Herausgekommen ist das beeindruckende Psychogramm einer verstörten Familie, eines Vaters, der versucht, seinen Kindern trotz aller Widrigkeiten einen Schutzraum zu bieten, obwohl er selbst allzu oft zu verzweifeln droht. Olivier Adam schreibt atmosphärisch dicht und durch seine ruhige, bildhafte Erzählweise wehen die salzige Meeresluft und der raue Wind der bretonischen Küste. Paul findet sich selbst durch die anderen wieder; indem er sich ihrer Probleme annimmt, kann er sein eigenes Schicksal verkraften.

Olivier Adam hat ihm bewusst den Familiennamen "Anderen" gegeben, in dem das deutsche Wort "anderen" anklingt: "Ich habe diesen Familiennamen gewählt, weil Paul jemand ist, der nur anderen gegenüber handelt. Nach dem Verschwinden seiner Frau ist er innerlich völlig leer. Alle, die seinen Weg kreuzen, erzählen ihm von ihren Ärgernissen, ihren Schwierigkeiten, ihren Leiden, und er hält nur wegen der anderen am Leben fest, wegen seiner Kinder und wegen der Leute, denen er hilft. Er ist kein Mensch, der sich nach dem Verlust seiner Frau Fragen über seine Schuld und seinen Schmerz stellt, sein Schmerz erlaubt ihm vielmehr, mit den anderen, die er trifft, mitzufühlen. Er ist jemand, der durch andere existiert."

Ein neuer Anfang

Am Ende dreht der Roman beinahe ins Krimi-Genre, wenn Sarahs Verschwinden aufgeklärt wird. Man kann es bedauern, dass Olivier Adam plötzlich so konkret wird, man kann es aber auch als eine Chance sehen, die er der kleinen Familie gibt: die Chance, aus dem Schwebezustand des Nicht-Wissens zu entkommen und einen neuen Anfang zu wagen:

"Es ist ein sehr düsteres und dunkles Ende", so Adam, "aber es erlaubt eine Art Neubeginn, durch den es möglich ist, das Undenkbare zu akzeptieren. Dabei ist Paul nicht allein, er hat Hilfe von anderen. In einer solchen Situation kehrt man nur in die Welt zurück, weil die anderen da sind."

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Olivier Adam, "Gegenwinde", aus dem Französischen übersetzt von Andrea Spingler, Klett-Cotta

Klett-Cotta - Olivier Adam