Die "Jet Lag All Stars Radio Show"
Nächtliche Hörerlebnisse
Diesmal waren die Jet Lag All Stars in Wien und L. A. auf Urlaub, dazwischen, in einem Anfall von Jugendlichkeit, auch auf einem Rave. Robert Czepel erinnert sich an eine Bahnfahrt nach Italien.
8. April 2017, 21:58
Botschaften an Aliens
Im Sommer 1977 fuhr ich zum ersten Mal ans Meer. Alba Adriatica war das Ziel - ein Badeort an der italienischen Adria mit Sandstrand und Sonnenschirmen, mehrstöckigen Hotels und Pizzerien an jeder Straßenecke. Für Erwachsene ein konventioneller Touristenort, für mich als Kind aber, das erstmals einen Urlaub im Ausland verbrachte, war es das Paradies.
Wir reisten mit dem Nachtzug an. Irgendwann in der Nacht wurde ich durch Rufe am Bahnsteig geweckt. Ich hörte die Stimmen von Männern, die in der Nähe unseres Liegewagenabteils miteinander sprachen. Plötzlich wurde mir bewusst: Das, was hier gesprochen wird, verstehe ich nicht. Es war eigenartig, zum ersten Mal eine fremde Sprache zu hören. Das Fremde hatte etwas Bedrohliches an sich und war anziehend zugleich.
... Hören, in der Dunkelheit zwischen Wachen und Schlafen. Hören an einem unbekannten Ort, den ich bald hinter mir lassen würde auf dem Weg zu diesem noch viel größeren Unbekannten, dem Meer. Manchmal frage ich mich, ob man diese Empfindung auch im Radio erzeugen könnte, diese Fremdartigkeiten, die uns ein Stück der kindlichen Wahrnehmung zurückgeben?
Schnitt. 10. Juni 2011, kurz vor Mitternacht. Wir sitzen im Studio RP7 des ORF-Funkhauses in der Wiener Argentinierstraße und produzieren die erste Ausgabe der Jet Lag All Stars Radio Show. Elke Tschaikner und Ach Schuh moderieren, zu Gast ist die Weltraum-Architektin Barbara Imhof. Die drei sprechen über den idealen Schlafanzug für Astronauten und über die Voyager-Sonde, die 1977 in den Weltraum gestartet ist. Da ist es wieder, das Fremde: An Bord der Voyager-Sonde ist eine mit Gold überzogene Datenplatte, die außerirdische Lebensformen, so es sie denn gibt, über die Menscheit informieren soll.
Die Platte zeigt, wie wir aussehen, sie zeigt die Position der Erde in der Milchstraße und sie zeigt auch typische Hervorbringungen menschlicher Kultur. Ich wäre gerne bei der Diskussion um die Frage dabei gewesen, was denn als repräsentativ für Homo sapiens und seine Kultur zu gelten habe. Bach, Beethoven und Mozart sollten das Rennen nebst anderen machen. Zweifelsohne eine gute Wahl, aber eben doch eine willkürliche. Meiner Ansicht nach hätte man ebenso das Rezept für den idealen Espresso oder ein Porträt von Muhammad Ali in die Liste aufnehmen können. Oder einen guten Witz anstatt der in 55 Sprachen binär codierten Phrase "Herzliche Grüße an alle". Im Prinzip ist es einerlei, denn verstanden wird das eine wie das andere nicht werden. Wenn das Fremde so fremd ist, dass es keinen Ansatzpunkt zum Verstehen in sich trägt, dann hat es keine Bedeutung. Die Voyager-Sonden führen leere Zeichen mit sich, deren Gehalt nur den Absendern bewusst ist.
Wenn man eine Radiosendung macht, die alte Hörgewohnheiten durch neue ersetzen möchte, steht man vor einem ähnlichen Problem: Verändert man zu viel, erzeugt man Unverständnis. Verändert man zu wenig, wird es gar nicht als etwas Neues wahrgenommen. So fremdartig wie die Voyager-Botschaft an die Außerirdischen wird die Jet Lag All Stars Radio Show niemals sein. Ich wäre zufrieden, wenn zwischen elf Uhr abends und zwei Uhr früh hin und wieder ein Bahnhofsgefühl entstünde. So wie damals auf dem Weg nach Alba Adriatica.