"Politik hat nur wenig Zeit für Reformen"
WIFO-Chef: Kleine Einkommen stärker erhöhen
Die relativ hohe Inflationsrate müsse bei Pensionserhöhungen und Lohnabschlüssen berücksichtigt werden, sagt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Karl Aiginger. Vor allem niedrigere Einkommen sollten stärker erhöht werden. An die Politik appelliert der WIFO-Chef, Reformen umzusetzen, bevor die Konjunktur wieder einbricht.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 20.08.2011
Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Karl Aiginger, "Im Journal zu Gast" bei Volker Obermayr
Bei Pensionen "umschichten"
WIFO-Chef Aiginger spricht sich im Ö1 Interview "Im Journal zu Gast" dafür aus, die Inflationsrate, die ja besonders die niedrigen Einkommen treffe, bei den Lohn- und Pensionserhöhungen zu berücksichtigen. "Das heißt nicht höhere Pensionserhöhungen als vorgesehen, aber Umschichtungen, dass die niedrigeren Pensionen stärker erhöht werden als die höheren Pensionen."
Löhne müssen Kaufkraft sichern
Zur Gewerkschaftsforderung nach einer Lohnerhöhung "deutlich" über der Inflationsrate verweist Aiginger auf die "Tatsache", dass die Reallöhne heuer um 0,8 Prozent gesunken seien. Eine weitere Tatsache, so Aiginger: "Wenn man einen stabilen Anteil der Löhne an der Wirtschaftsleistung haben will, müssen die Löhne steigen im Ausmaß der Inflation plus der Produktivitätsentwicklung." Den Rest müssten die Sozialpartner aushandeln. Die Löhne sollten jedenfalls real steigen, damit die Kaufkraft erhalten werde, aber nicht stärker, als es die Wettbewerbsfähigkeit erlaube. Außerdem sollten die Lohnerhöhungen differenziert sein, je nach der Lage der Wirtschaftszweige als auch nach Einkommen. Wichtig seien dabei auch die Fragen Ausbildung und Investitionen.
Wachstum ermöglicht Preiserhöhungen
"Das gebändigt geglaubte Gespenst der Inflation ist zurückgekehrt", sagt Aiginger. Doch er relativiert: Ein Wert von mehr als drei Prozent erscheine heute hoch, vor dem EU-Beitritt sei die Inflationsrate aber bei durchschnittlich vier Prozent gelegen. Die Ursache sieht Aiginger in der dank weltweiter Konjunkturerholung starken Nachfrage nach Rohstoffen und Energie. Dass die Teuerung in Österreich höher ist als im EU-Schnitt, führt der WIFO-Chef unter anderem auf die Bereiche Dienstleistungen und Tourismus zurück. Insgesamt wachse die österreichische Wirtschaft um ein Prozent stärker als der europäische Durchschnitt, daher könnten Preissteigerungen an die Konsumenten weitergegeben werden. 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte der Inflation gingen auf Steuererhöhungen zurück.
Gegen Mehrwertsteuersenkung
Dass die Teuerung als so hoch empfunden wird, liegt laut Aiginger daran, dass Dinge des täglichen Bedarfs, die man im Supermarkt kauft, rascher und stärker teurer wurden, während langlebige Produkte wie Fernseher, Computer oder Handys billiger wurden. Beides fließe aber in die Inflationsrate ein. Eine österreichische Komponente gebe es bei den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen nicht, versichert der WIFO-Chef. Von einer vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel hält der WIFO-Chef nichts: Das greife nicht an den Ursachen an und würde nur zum Ausfall von Staatseinnahmen führen. Und die Budgetsanierung habe sehr hohe Priorität.
Größere Sorgen als die Inflation
Aiginger erwartet für den weiteren Jahresverlauf einen Rückgang der Inflation auf etwas über drei Prozent, weil auch die Rohölpreise schon gesunken seien. Und bei einer einigermaßen guten Ernte würden auch die Nahrungsmittelpreise wieder nachgeben. Insgesamt sei die Inflation das geringere Problem, er habe die größere Sorge um die Wirtschaftsentwicklung und um die Stabilität des Finanzsystems.
Wenig Zeit für Reformen
Der WIFO-Chef mahnt die Politik, die Budgetkonsolidierung fortzusetzen und Reformen umzusetzen: "Es gibt noch viel zu wenig Reformen im Schulbereich, bei Kindergärten, im Bereich der Innovationen. Das ist die eigentliche Bestimmungsgröße für das Wirtschaftswachstum und die Sicherheit der Arbeitsplätze." Die Zeit dränge, es gebe bereits Anzeichen, dass sich das Wachstum in Europa in Richtung null bewegt. "Und bis dahin müssen Reformen geschehen sein." Es gebe sogar ein Risiko von etwa zehn Prozent, dass die Krise noch einmal zurückkommt. Die bisherige Prognose für das nächste Jahr sei jedenfalls zu optimistisch. Jetzt müsse die Politik handeln und das Vertrauen durch Reformen und Zukunftsinvestitionen herstellen. In der EU-Finanzpolitik müsse Brüssel mehr Kompetenzen erhalten.