Das Ringen um Lösungen geht weiter

EU: Schuldenproblematik vor Eskalation

Der Sparplan Griechenlands droht zu scheitern, vom italienischen ist nicht mehr viel übrig. Und die wirtschaftlich starken EU-Länder wehren sich mit Händen und Füßen gegen finanzielle Hilfe für weitere Pleitekandidaten. Die Schuldenkrise könnte Europa über den Kopf wachsen.

Mittagsjournal, 5.9.2011

Raimund Löw aus Brüssel

Griechenland: größtes Sorgenkind der EU

Die Europäische Finanzpolitik steht vor schwierigen Wochen, denn viele der guten Vorsätze zur Stabilisierung des Euro sind angesichts der sich verschlechternden Konjunktur nur schwer zu verwirklichen. Griechenland bleibt nach wie vor das größte Sorgenkind. Wieder einmal sind in Athen die Budgetzahlen schlechter als erwartet.

Drohender Kontrollverlust

Dazu kommen die Unsicherheiten über die Situation in Italien. Die schwer angeschlagene Regierung von Silvio Berlusconi hat die ursprünglich geplanten Sparvorhaben teilweise zurückgenommen. Die Finanzverantwortlichen der Europäischen Union haben alle Hände voll zu tun, um die Situation nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.

EU-Wirtschaftswachstum unter Erwartungen

Aus dem fernen Australien versucht Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu beruhigen. Eine neue Rezession sei in Europa nicht zu erwarten, trotz der eher düsteren Wolken über der gesamten Weltwirtschaft. Jedoch: das Wirtschaftswachstum in den nächsten zwei Jahren wird deutlich geringer sein, als ursprünglich erwartet.

Das könnte schlimme Folgen haben, gehen doch alle Strategien zur Überwindung der Schuldenkrise oder zur finanziellen Absicherung der schwächelnden Banken in Europa von einem deutlichen Wirtschaftswachstum aus.

Gefahr für Sparpläne

Läuft die Wirtschaft schlechter als prognostiziert, dann bleiben die Steuereinnahmen zurück und alle Pläne zur Reduktion der Budgetdefizite sind Makulatur. Überschuldeten Staaten wie Italien, Spanien oder Griechenland haben aber schrumpfende Defizite versprochen - im Gegenzug für finanzielle Hilfe aus der EU. Der schlimmste Teil der Eurokrise steht noch vor uns, titelt reißerisch die Londoner Tageszeitung "Financial Times".

Griechenland stoppt Privatisierungsprogramm

In Brüssel tagen am Montag die Experten aus den Finanzministerien der Euroländer zum Dauerthema Griechenland. Denn nach Ansicht der EU-Experten hat die Regierung in Athen wieder einmal ihre Zusagen von vor dem Sommer nicht eingehalten. Das Privatisierungsprogramm wurde zwar im Parlament in Athen beschlossen, doch die griechische Regierung aufgrund fallender Aktienkurse noch abwarten, um nicht Volksvermögen zu Dumpingpreisen abzugeben.

Auch Berufsgruppen-Liberalisierung stockt

Die Liberalisierung von 140 geschlossenen Berufsgruppen, wie Apothekern, Taxifahrern oder Anwälten stockt, weil starke Interessensgruppen auf der Bremse stehen. In den nächsten Tagen werden neue Proteste auf den Straßen von Athen erwartet. Griechenland Finanzminister Evangelos Venizelos sagt, zusätzliche Sparmaßnahmen seien politisch nicht durchsetzbar.Griechenland wird daher seine Budgetzahlendaher höchstwahrscheinlich von Neuem verfehlen.

Griechenland-Hilfe wackelt

Eine Situation, ganz ähnlich wie vor dem Sommer. Denn Ende September sollen die Europäer und der Internationale Währungsfonds die nächste Tranche der Hilfsgelder in der Höhe von acht Milliarden Euro nach Athen überweisen, die eigentlich an einen positiven Bericht der sogenannten Troika von Wirtschaftsexperten gebunden ist.

Problemfall Italien

Aber nicht nur die Griechenlandhilfe wackelt, auch Italien bleibt ein Problemfall. Und zwar für die Europäischen Zentralbank. In den letzten Wochen hat Zentralbankchef Jean-Claude Trichet um viele Milliarden italienische Staatspapiere kaufen lassen. Das hatte im vergangenen Monat schlagartig zu einer Entspannung geführt. Aber im Gegenzug versprach die Regierung in Rom in Windeseile wichtige Sparmaßnahmen. Berlusconi will das ändern, eine geplante Reichensteuer soll fallen.

EZB uneins über Vorgangsweise

Die Führung der Europäischen Zentralbank ist sich uneins. Der deutsche Vertreter lehnt den Kauf von Staatspapieren angeschlagener Staaten ab, obwohl die Notenbank in Washington oder andere Zentralbanken ähnlich agieren. Am Donnerstag werden in Frankfurt die Gouverneure der Europäischen Zentralbank die missliche Lage diskutieren.

Unsicherheit über Zukunft Europas

Zu den wirtschaftlichen Fallstricken kommt die politische Unsicherheit über den Europakurs des wichtigsten EU-Landes Deutschland. Der kleine Koalitionspartner FDP geht immer mehr auf euroskeptischen Kurs. Dagegen plädiert eine von Finanzminister Schäuble angeführte Gruppe in der CDU für einen großen Schritt in Richtung Vereinigte Staaten für Europa, mit einem Finanzminister für den Euro. Und das zum Preis einer Vertragsveränderung in der EU, von der viele EU-Länder nichts wissen wollen. Es scheint, Europa stünde ein turbulenter Herbst bevor.