Stephane Hessel im Ö1 Interview

"Wir müssen uns Sorgen machen"

"Wir brauchen einen neuen Aufbruch, so geht es nicht weiter", das ist die Botschaft, die Stephane Hessel in seinem Bestseller "Empört Euch!" verkündet hat. Jetzt sorgt sich der 93-jährige Franzose darum, wie Europas Parteien funktionieren. Der unermüdliche greise Rebell ist dieser Tage in Wien.

Mittagsjournal, 14.10.2011

Barbara Ladinser im Gespräch mit Stephane Hessel

Nerv der Zeit getroffen

Mit seiner, nur wenige Seiten umfassenden, Streitschrift gegen die Macht des Finanzkapitals, gegen ungerechte Verteilung und gegen Umweltzerstörung hat Stephane Hessel den Nerv der Zeit getroffen. Die spanische Protestbewegung hat sich in diesem Frühjahr nach Hessels Titel "die Empörten, Indignados" genannt. Ähnliche Protestbewegungen sehen wir seither in immer mehr demokratischen Staaten von Israel über Chile bis nach New York.

Gemischtes Resümee

Hessel zieht nach den Protesten in Spanien ein gemischtes Resümee: "Leider haben sie die Regierung, die eine sozialistische war, angegriffen. Sie hatten gute Gründe, denn selbst eine sozialistische Regierung hat allerlei Fehlleistungen. Aber gerade mit der Finanzmacht ist es für eine sozialdemokratische Regierung nicht leicht, das zu erreichen, was sie erreichen möchte. Es wäre mir viel lieber, wenn jetzt nach diesen neuen Wahlen, eine Linksregierung käme."

Hessel fordert neue politische Parteien

Laut Hessel braucht es in Europa neue politische Gruppierungen und Parteien, denn: "Wir müssen uns Sorgen machen, wie unsere Parteien funktionieren. Sind sie denn wirklich demokratisch oder haben sie sich so verändert, auch unter dem Einfluss von Finanzmächten, dass sie eben nicht mehr so stark zugreifen, wie wir es uns wünschen." Kommunistische Parteien lehnt Hessel ab, denn die hätten genug "Schlechtes gebracht", doch Hessel wünscht sich sozialistische Parteien, die aber wirklich sozial sind.

"Noch viel zu tun"

"Meine Generation hat dazu beigetragen, dass die Welt ein bisschen besser aussieht", so Hessel. Es gebe aber noch viel zu lernen und das sei die Aufgabe der jüngeren Generation in diesem 21. Jahrhundert - Lernen und auch Lehren.

Stephane Hessel wurde 1917 in Berlin geboren. Er überlebte das Konzentrationslager Buchenwald, war Widerstandskämpfer in der Resistance, war Mitautor der Menschenrechtscharta der UNO und später jahrelang Diplomat und Mittler in Konflikten. Heute lebt Hessel in Paris.

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