Jeden Tag eine neuer Film

Österreich-Schwerpunkt bei der Viennale

Die Viennale gibt derzeit Einblick in das österreichische Dokumentarfilmschaffen: In der Reihe "Home Run" wird jeder Tag ein neuer österreichischer Film präsentiert. Das Genre Langspielfilm ist nur mit einem Streifen vertreten.

Kulturjournal, 24.10.2011

Bei der Viennale wird diese Woche der erste Langspielfilm des österreichischen Regisseurs Sebastian Meise gezeigt. Er heißt "Stilleben" und beschäftigt sich mit der Schuldfrage im Zusammenhang mit Pädophilie.

"Stilleben" ist bei der Viennale im Rahmen der Reihe "Home Run" zu sehen, bei der jeden Tag ein neuer österreichischer Film präsentiert wird. Meises Film ist dabei der einzige Langspielfilm, in diesem Programm, das vor allem einen konzentrierten Einblick in das heimische Dokumentarfilmschaffen gibt.

Dieses könnte an Themen und filmischen Herangehensweisen kaum vielfältiger sein: Da sind klassische Portraits ebenso zu finden wie politische Recherchen und dokumentarische Begegnungen, die den Zuschauer etwa nach Südamerika oder in die USA führen.

Ein anders USA-Bild

Die Euphorie in Harlem nach dem Wahlsieg Barack Obamas. Eine von vielen kleinen Geschichten in Ruth Beckermanns Film "American Passages". Es sind Begegnungen mit Menschen zwischen Autobahn, Frauengefängnis und Casino, die hier in einer großen Collage ein gänzlich anderes USA-Bild vermitteln, als jenes, das Kino und Medien gewöhnlich transportieren. Die USA bleiben hier ein vager Entwurf, der sich in den einzelnen Geschichten immer neu definiert.

Junge Boxer im Trainingsalltag

Und ist es in "American Passages" immer wieder die Frage nach der Realisierbarkeit des American Dream, die in teils sehr persönlichen Geschichten verhandelt wird - ist es in Jakob Weingartners "Boxeo Constitucion" dann der Traum vom großen Kampf, der seine Protagonisten antreibt.

In genauen Beobachtungen begleitet Weingartner zwei junge Boxer durch den Trainingsalltag, hin zur ersten Bewährungsprobe, ihrem Debütkampf. Schauplatz von "Boxeo Constitucion" ist Buenos Aires, und auch Lotte Schreiber haben ihre filmischen Recherchen nach Südamerika geführt, nach Mexiko City - genauer in den Stadtteil Tlatelolco.

Die Geschichte eines Stadtteils

Schreiber konfrontiert Tlatelolco und die Gebäude des Viertels mit ihrer Geschichte. Vom zeremoniellen Zentrum der Azteken und dem Beginn der europäischen Kolonialisierung, über das Massaker von 1968, wo die Niederschlagung einer Studentendemonstration im Blutbad endete, bis hin zum Erdbeben von 1985.

Dokus zum Holocaust

Daneben sind im Rahmen von "Home Run" auch zwei klassische Porträtdokus zu sehen, die sich mit der Erinnerung an den Holocaust und dem Weiterleben danach auseinandersetzen: Alfred Schreyers "Der letzte Jude von Drohobytsch" und Renata Schmidtkunz' "Das Weiterleben der Ruth Klüger".

Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger wurde im Alter von zehn Jahren von Wien über Theresienstadt nach Ausschwitz deportiert und emigrierte später in die USA. In ihrem autobiografischen Bestseller "weiter leben" hat sie ihre Erinnerungen später aufgearbeitet. Der Film spiegelt Klügers Art des sich Erinnerns, zwischen intimer Nähe und analytischer Distanz. Ein unpathetischer Zugang, so Schmidtkunz, der Klügers Auseinandersetzung mit dem Holocaust so besonders und wichtig mache.

Überwachungs- und Kontrollszenarien

Von der Autobahn ins Parkhaus in den Bahnhof. Überwachung und Lauschangriffe. Ein Polizeistaat in der Schublade, zwischen präventivem Sicherheitsdenken und allgemeiner Verunsicherung.

Michael Palm legt seinen Film "Low Definition Control" als philosophischen Diskurs zu Überwachungs- und Kontrollszenarien an. Und was hier auf abstrakter Ebene diskutiert wird, manifestiert sich teils drastisch in Gerald Igor Hauzenbergers politischer Dokumentation "Der Prozess".

Tierschützer-Prozess

Monatelang hielt der Tierschützer-Prozess im vergangenen Jahr Medien und Öffentlichkeit in seinem Bann. Als 13 Aktivisten ein Jahr lang vor Gericht standen, angeklagt nach Paragraph 278a, dem sogenannten Mafiaparagrafen. Hauzenberger fasst die Fakten noch einmal zusammen, blickt hinter die Kulissen, zeigt Aktionen der Tierschützer und spricht mit Experten. Für den Dokumentarfilmer ist dieser Prozess ein Paradebeispiel dafür, wie zwischen Korruptions- und Justizskandalen das Vertrauen der Bürger in den Staat ständig weiter sinke.

Ibizas Vielfalt

Daneben haben auch Othmar Schmiderers "Stoff der Heimat", und Joerg Burgers "Way of Passion" im Rahmen der Viennale ihre Premiere. Ein Film der in mehrfacher Hinsicht fasziniert und überrascht, ist dann Günther Schweigers "Ibica Occident".

Es ist eine Entdeckungsreise an einen Ort, den man über Klischees und vorgefasste Meinungen zu kennen glaubt. Schweiger blickt hinter diesen Vorhang und zeigt Ibiza in seiner beeindruckenden Vielfalt. Geht zurück zu den Wurzeln der Clubkultur, und begleitet Künstler an die stillen Plätze der Mittelmeerinsel. Zeigt das Nebeneinander von unterschiedlichen Kunst- und Lebensmodellen.

Beeindruckend Arbeiten

"Home Run" bietet einen vielschichtigen Blick auf das heimische Dokumentarfilmschaffen, das hier quantitativ stark vertreten, vor allem aber auch in der Qualität einzelner Arbeiten beeindruckt - und das im Rahmen der Viennale hier nun auch eine gebührende internationale Auslage bekommen hat.

Seidl gibt Einblicke in seine Werkstatt

Neben den oben genannten Dokumentarfilmen ist der österreichischen Filmemacherin Sasha Pirker bei der Viennale auch eine eigene Werkschau gewidmet. Und Ulrich Seidl wird am Mittwoch im Wiener Stadtkino sein neues Projekt "Paradies" präsentieren, das sich allerdings noch in Vorbereitung befindet.

Seit vier Jahren arbeitet Seidl bereits an diesem Projekt, das ursprünglich als Episodenfilm geplant war, nun aber als Filmtrilogie in die Kinos kommen soll.

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