Neue Gremien geben den Ton an
Wer hat das Sagen in der EU?
Griechenland muss auf Druck der EU eine Regierung der nationalen Einheit bilden, in Italien steht Berlusconi vor dem Rücktritt als Regierungschef, nachdem er ein Sparpaket vorgeschrieben bekommen hat. Dieser immense Druck kommt aber nicht von formellen Gremien der Union, sondern von neuen Gruppen, die in den EU-Strukturen nicht vorgesehen sind - eine demokratiepolitisch bedenkliche Entwicklung.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 08.11.2011
ORF-Korrespondent Raimund Löw im Gespräch mit Wolfgang Wittmann
Neue, harte Töne
Zu allererst sind es die Finanzmärkte, die das Geschehen bestimmen. Dass in Italien Silvio Berlusconi mit dem Rücken zur Wand steht, ist vor allem auf die hohen Zinsaufschläge zurückzuführen, die Italien zu bezahlen hat. Das ist offensichtlich wichtiger als das Vertrauen der Bevölkerung.
Auf dieser Basis sind in Cannes neue Weichen gestellt worden: Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland und Frankreich, die Vertreter der EU-Kommission, der Kommissionspräsident, der Ratspräsident und die Chefs der Zentralbanken haben sich zusammengetan. Sie haben Griechenland vorgegeben, dass es eine Regierung der nationalen Einheit und kein Referendum geben muss. Sie haben auch Italien die Sparmaßnahmen vorgegeben. Das ist ein ziemlich harter Ton, der neu ist in der EU.
Demokratiepolitisch problematisch
Die Legitimation derartiger Gremien ist die Legitimation derer, die zahlen. So hat sich im Oktober die "Frankfurter Gruppe" gebildet, mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde und dem Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi sowie Ratspräsident Rompuy und Kommissionspräsident Barroso und vor allem den Regierungschefs von Deutschland und Frankreich. Das ist demokratiepolitisch problematisch, aber in einer Situation, wo rasche Entscheidungen nötig sind, auch ein bisschen beruhigend: Offenbar gibt es doch ein Zentrum in Europa, das nicht darauf angewiesen ist, dass in irgendeinem Parlament eine nationalistische Partei Schwierigkeiten macht. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas kritisiert das als intergouvernalen Ausschuss, der den nationalen Parlamenten ihre Vereinbarungen aufs Auge drückt. Das sei postdemokratisch und der Würde der Demokratie nicht vereinbar.
Das ist aber auch die logische Folge, wenn man keine starke Demokratie in Sinne "Vereinigter Staaten von Europa" haben will. Diese Entwicklung zeigt auch auf, dass es eine "Konstruktionslücke" in der Europäischen Union gibt, die eben kein Bundesstaat ist, sondern ein Hybrid zwischen Staatenbund und Bundesstaat. In der EU gibt es ein Mehrklassensystem in der EU, abhängig vom Schuldenausmaß der einzelnen Staaten. Österreich steht als "Triple-A-Staat" gut da, auf einer Ebene mit Staaten wie Deutschland oder Finnland und kann harte Sparvorgaben fordern.