Alles ist Kunst

50 Jahre Fluxus

Eine lose Gruppe junger Künstler und Musiker aus Europa, Japan und den USA suchte Anfang der 1960er Jahre mit alten Traditionen zu brechen und die Grenzen zwischen Musik und Performance, Kunst und Leben aufzulösen. Fluxus nannte sich die Avantgarde-Kunst-Bewegung, die nicht auf einen Stil, einen Ort oder ein Medium festlegbar ist.

Der Komponist John Cage hatte einen großen Einfluss auf die Fluxus-Bewegung - viele der Künstler besuchten an der New School for Social Research in New York seine Kompositionsklassen. Heuer wird Fluxus fünfzig Jahre alt.

Kulturjournal, 04.01.2012

Kraut und Piano

"Sie hängen Kraut an die Wand und nennen das Kunst." So empörte sich die Presse über die neue Avantgarde-Kunst-Bewegung Fluxus, die Anfang der 1960er Jahre Form annahm. In Wiesbaden fand im September 1962 das erste Festival statt. Es trug den Titel "Fluxus: Internationale Festspiele Neuester Musik". Aufgeführt wurden Konzert-Performances unter anderem von John Cage und Karlheinz Stockhausen, aber auch von Fluxus-Künstlern wie Alison Knowles, George Brecht, Ben Patterson und George Maciunas, dem Impressario der Bewegung.

Für Aufsehen sorgte die Performance von Phil Corners "Piano activities": Über mehrere Tage wurde ein Klavier zerlegt. Die Kunsthistorikerin Petra Stegmann erklärt, dass das Stück nicht auf Zerstörung angelegt ist, das Klavier in Wiesbaden jedoch beschädigt war und so aus praktischen Gründen abgetragen wurde. Der Skandal war dennoch groß.

Die Irren sind los

Petra Stegmann, wohnhaft in Potsdam, hat eine Ausstellung zu Fluxus in Osteuropa kuratiert und arbeitet nun - gemeinsam mit Partnerinstitutionen - an einem Forschungsprojekt über rund 30 Fluxus-Veranstaltungen in ganz Europa zwischen 1962 und 1977. Titel des Ausstellungsprojekts ist "Die Irren sind los..." - so äußerte sich ein Besucher des Festivals in Wiesbaden.

"Das Projekt verdeutlicht, dass Fluxus wie ein Schneeballsystem funktioniert hat. Es gab den offiziellen Anfang 1962 in Wiesbaden, dann folgten gleich Kopenhagen und andere Städte."

"Netzwerk", diesen Begriff hält Stegmann als geeignete Bezeichnung für Fluxus. Denn was Fluxus genau ist, das wollten die Künstler nicht festlegen. Einige Merkmale können Fluxus jedoch dennoch zugeschrieben werden: Es ist eine internationale, dezentralisierte, von Medien unabhängige Kunstform, an der sich auch Frauen beteiligten. "Es war kein Reißbrettprojekt. Ein paar Leute haben versucht, ein Ziel zu erreichen und haben was anderes erreicht als beabsichtigt."

Jeder kann Kunst machen

Viele der Fluxus-Künstler arbeiteten mit Handlungsanweisungen, die von allen Menschen - also nicht nur von einer Künstlerpersönlichkeit - überall ausgeführt werden konnten. In Event scores, also Partituren für Ereignisse, wurden die knapp formulierten Handlungsanweisungen festgehalten. Fluxus strebt die Immaterialität der Kunst an - dennoch gibt es einige Fluxus-Objekte, wie zum Beispiel die Aktionsobjekte. Das sind Objekte, die zur Verwendung einladen. "Von Ben Vautier", erzählt Petra Stegmann, "gibt es etwa das 'Suicide Kit' mit Angelhaken und Rasierklingen, die man anwenden könnte, wenn Bedarf besteht."

Kunst = Leben

Die Fluxus-Künstler suchten nach Wegen, das Leben zur Kunst zu machen und die Kunst ins Leben zu integrieren. Das machten sie teilweise auf radikal neue Weise, die Idee war aber freilich nicht neu. Der kanadische Medien-Künstler Hank Bull, der mit Fluxus-Künstlern wie Robert Filliou befreundet war, bettet den Gedanken der Gleichsetzung von Kunst und Leben in die Befreiungsbewegungen der 1960er Jahre ein.

Entsprechend dem Geist der 1960er Jahre sagten sich die Künstler von Autoritäten wie Kirche und Staat los, um autonome, kreative Lebensformen zu erfinden, so Hank Bull. In Vancouver hat Bull 1973 gemeinsam mit anderen Künstlern die Organisation "Western Front" gegründet, ein Raum für neue Kunstformen. Bis heute wird unter einem Dach Kunst produziert und gewohnt.

Future Fluxus

Der Medientheoretiker Andreas Leo Findeisen beschäftigt sich seit einigen Jahren im Rahmen des Projekts "Future Fluxus" gemeinsam mit Künstlern und Programmierern mit den Schnittstellen von Fluxus und digitaler Kultur. Aspekte wie Dezentralisierung, Vernetzung und niedrigschwellige Zugänglichkeit, die das Internet kennzeichnen, wurden vom Fluxus-Netzwerk vorgedacht.

Im Fluxus-Jubiläumsjahr 2012 finden einige große Veranstaltungen statt. Die Stadt Wiesbaden etwa, einer der Ursprungsorte, steht das ganze Jahr im Zeichen von Fluxus. Gemeinsam mit der Gruppe Future Fluxus veranstaltet das "Ö1 Kunstradio" am 17. Jänner 2012 eine Geburtstagsfeier für die Kunst, den sogenannten Art's Birthday. Diese Idee geht zurück auf den Fluxus-Künstler Robert Filliou, der 1963 verkündete, die Kunst sei vor einer Million Jahren geboren worden, als jemand einen trockenen Schwamm in einen Kübel Wasser fallen ließ. "Art's Birtday ist eine Gelegenheit für alle, gemeinsam etwas zu machen - und man kann nichts falsch machen. Es sind eine Menge Leute im Internet dabei, die nie von Fluxus gehört haben. Feiern wir die Kunst!", ruft der Künstler Hank Bull dazu auf, die Kunst in guter Fluxus-Tradition hochleben zu lassen.