Kämpfer für mehr Mitsprache

Schulz ist Präsident des EU-Parlaments

Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz ist im ersten Wahlgang mit 387 Stimmen gewählt worden. Er löst damit den bisherigen EU-Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek aus Polen ab. Seine Wahl galt als sicher, weil ihm die beiden größten Fraktionen vorab ihre Unterstützung zugesichert haben. Schulz will die Rolle des EU-Parlaments gegenüber den Mitgliedsstaaten stärken.

Mittagsjournal, 17.1.2012

Cornelia Primosch aus Straßburg

Streitbarer Präsident

Der "Lautsprecher" wechselt die Seiten - und das kein bisschen leise. Martin Schulz, der wortgewaltige und rhetorisch brillante Fraktionsführer der europäischen Sozialdemokraten wird mit 387 von 670 gültigen Stimmen zum neuen Präsidenten des europäischen Parlaments gewählt und hängt seine Herausforderer, Diana Wallis von den Liberalen und Nirj Deva von den britischen, europakritischen, Konservativen, ab. Doch Schulz erzielt kein beeindruckendes Ergebnis, sein Vorgänger Jerzy Buzek konnte bei seiner Wahl 555 Stimmen für sich verbuchen. Martin Schulz polarisierte stets - und dieser Linie will er offenbar auch als Parlamentspräsident treu bleiben: Er werde kein bequemer Präsident sein, sagt Schulz in seiner Antrittsrede. Er werde streiten, wenn Interessen der Bürger gefährdet seien.

Kritik am Rat

Schulz schießt sich auf den Europäischen Rat ein, also die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Denn seit Ausbruch und Zuspitzung der europäischen Finanz- und Schuldenkrise habe die Demokratie und das europäische Gemeinschaftsprojekt massiven Schaden genommen: Regierungschefs fällten Beschlüsse hinter verschlossenen Türen, das erinnere an die Zeiten des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert. Dabei sei es darum gegangen, knallhart nationale Interessen durchzudrücken bringen, ohne demokratische Kontrolle. Daher müsse das Parlament mit am Tisch sitzen.

Debatte über Orban

Und auch in der europäischen Tagespolitik werde das EU-Parlament eine stärkere Rolle für sich in Anspruch nehmen. Aktueller Anlass: Die Auseinandersetzung der rechtskonservativen ungarischen Regierung von Viktor Orban mit der EU-Kommission. Martin Schulz lädt den streitbaren ungarischen Regierungschef ein, sich den EU-Parlamentariern zu stellen: "Wir werden morgen eine kontroverse Debatte über die Lage in Ungarn haben. Premier Orban hat angefragt, dass er seine Sichtweise vortragen will. Ich bin der Meinung, Orban sollte zu Wort kommen."

Österreichische Nachfolger?

Der 56-jährige Martin Schulz, der seit seinem 19. Lebensjahr Mitglied der Sozialdemokraten ist und seit 1994 im EU-Parlament sitzt, räumt mit seiner heutigen Wahl den Platz des Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Sozialdemokraten. Um Schulz' Nachfolge bewerben sich der SPÖ-EU-Parlamentarier Hannes Swoboda, die französische Abgeordnete Catherine Trautmann und der britische Labour-Abgeordnete Stephen Hughes. Am Nachmittag stellt sich auch ein weiterer Österreicher der Wahl. Othmar Karas von der Europäischen Volkspartei bewirbt sich für den Posten des Vizepräsidenten im EU-Parlament.