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Rätsel über iranische Wahlbeteiliung

Es war eine Wahl ohne Opposition. Nur die iranischen Konservativen traten zum Machtkampf an, die Reformer waren ausgeschlossen. Somit blieb die Wahlbeteiligung als Gradmesser, wie viele dem Boykottaufruf der Opposition folgten. Doch nicht einmal diese lässt sich zweifelsfrei feststellen.

Mittagsjournal, 3.3.2012

Christian Schüller berichtet aus eheran.

Ohne Stempel kein Zuschuss

Wie viele Iraner am Samstag auch wählen gegangen sind und was auch immer sie sich dabei gedacht haben - von den Medien des Landes hören sie seit Stunden, dass sie dabei von einer Welle der Begeisterung getragen waren. Die Propagandaschlacht um diese Wahl nimmt zum Teil bizarre Züge an. Zu pathetischen Klängen aus der Revolutionszeit werden im Fernsehen immer wieder Frauen und Männer mit Wahlzetteln gezeigt. Durch ihre Teilnahme an der Wahl hätten sie die westliche Propaganda Lügen gestraft, heißt es im Kommentar. Dass viele ärmere Iraner sich den Wahlstempel auch deshalb geholt haben könnten, weil sie den monatlichen Sozialzuschuss der Regierung nicht verlieren wollten, wird nicht angesprochen.

"Freundliche" Begleiter

Laut Wahlbehörde war die Beteiligung höher als bei der letzten Parlamentswahl. So hoch, dass Stimmzettel nachgedruckt werden mussten. Sich ein wirkliches Bild davon zu verschaffen, warum es zu wenige Wahlzettel gab und warum die Wahlzeit bis in den späten Abend verlängert werden musste, ist schwer. Denn Ausländer, die über die Wahl berichten wollen, werden von ihren freundlichen Begleitern nicht aus den Augen gelassen. Und das gilt für die gesamte Zeit unseres Aufenthalts. Auch private Termine sind nur in Begleitung gestattet. Unter diesen Umständen ist es nicht ratsam, Bekannte zu kontaktieren, ohne diese in Gefahr zu bringen.

"Wozu brauchen die meine Stimme?"

Aber wenn es doch einmal gelingt, außerhalb des Journalisten-Hotels Luft zu schnappen, oder auf eine Pizza zu gehen, bekommt man doch ein Bild, das von der offiziellen Interpretation der Ereignisse abweicht. Autofahrer nehmen einen Fußgänger für ein paar Rial gerne mit, auch wenn sie keine Taxifahrer sind. Ein etwa 60-jähriger Iraner kam gleich ohne Umschweife auf die Wahl zu sprechen. Er habe in Teheran nur wenige Wähler gesehen. Politik kümmere ihn wenig, denn er arbeite 80 Stunden in der Woche und das reiche noch nicht aus wegen der galoppierenden Preise für Lebensmittel. Als wir dann an mehreren Bankgebäuden vorbeifahren, sagt der Mann: "Was glauben Sie, wem das alles gehört? Den Mullahs. Wozu brauchen die noch meine Stimme?"

Das Urteil steht schon fest

Gespräche wie die sind natürlich nur Zufallstreffer und lassen sich wohl genauso wenig verallgemeinern wie die verschleierten Frauen, die ihren Wahlzettel in die Kamera halten wie eine Trophäe. Was also glauben? Bevor man noch dazu kommt, darüber nachzudenken, wird man schon wieder von einem iranischen Journalisten angesprochen, der ein kleines Interview möchte: "Was sagen Sie dazu, dass so viele Iraner wählen gegangen sind und die westliche Propaganda falsch war?" Wurde ich gestern Dutzende Male gefragt. Diese Interviews erinnern ein wenig an die Inquisition: Was auch immer man antwortet - das Urteil steht schon fest.